14.5.06

Well-being am Sonntagmorgen

Gern würde ich ein Loblied auf das "Land der Morgenstille", wie sich Korea in den Tourismusprospekten selbst bezeichnet, singen, doch angesichts der Dinge, die mir passiert sind, versagt meine Stimme.

Als ich nämlich nach einer Stunde Jogging heute morgen gegen halb acht wieder zu Hause eintraf, überlegte ich eine ganze Weile, was ich gerade gesehen hatte. Ich war Zeuge eines Rituals geworden, daß so typisch für dieses Land ist. Damen und Herren jenseits der 50plus-Altersgrenze werfen sich in ihre schickste Sportkleidung und gehen durch die Gegend. Zum Teil auch rückwärts. Wohlgemerkt gehen, nicht joggen!

Natürlich kenne ich so etwas auch aus Deutschland, aber die Leute sind bei uns in der Minderheit im Vergleich zu den Joggern. Hier war ich als Jogger die Ausnahme und musste mir ganz aussen meinen Weg durch Gruppen von Frauen und Männern bahnen und mir einige komische Blicke gefallen lassen. Wie gesagt, es war ungefähr 6:30 Uhr in der Frühe.

Neben dem Weg gibt es zahlreiche Trimm-Dich-Geräte, Fitnessbänke und Reckstangen. Auch davon machten die anwesenden Koreaner regen Gebrauch. Ich sah ältere Damen, die sicher schon Enkelkinder hatten und eine gute Rente bezogen, wie sie an Reckstangen herumturnten und Liegestütze machten. Die Herren standen ganz in der Nähe immer zu zweit auf einer beweglichen Scheibe und schwenkten die Hüften nach links und rechts. Dabei gingen sie leicht in die Knie. Ein einzelner Herr spielte gegen sich selbst Basketball.

Plötzlich musste ich angesichts dieser Bilder so sehr grinsen, dass mir fast die Luft wegblieb. Es war ein einziges riesiges Freilufttheater. Jeder bemühte sich mit solcher Inbrunst, etwas für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden zu tun, daß es schon wieder komisch wirkte. Und ich hatte voller Naivität gedacht, daß ich den Sportplatz so früh am Morgen fast ganz für mich allein hätte. Stattdessen drängelte ich mich an Dutzenden Kleingruppen vorbei, immer darauf bedacht, nirgends anzustoßen und keinen der durchschnittlich 1,60 Meter großen Koreaner umzurennen.

5 Comments:

At 14/5/06 17:00, Anonymous Anonym said...

Und dafür bist Du extra so zeitig aus dem Bett gefallen! (Mein Sonntagmorgen Well-being fand im Bett statt *grins*.) Kann Dir natürlich im Friedrichshain nicht passieren, obwohl es zurzeit auch kein Genuss ist. Nach den ersten 2 Wochen, die wettermäßig grilltauglich waren, sieht er aus wie eine große Müllhalde. Ich war gestern richtig erschrocken. Ich hätte aber gegen ein paar Regentropfen derzeit auch nichts einzuwenden, denn die Rennstrecke staubt ganz mächtig. Seit zwei Wochen keinen Regen mehr gehabt. Und der für dieses Wochenende angekündigte, blieb bisher auch aus. Na, noch hat er 14 Stunden Zeit. CaRo

 
At 15/5/06 06:45, Blogger Gitte said...

das mit der guten rente bezweifle ich. und das mit den 1.60 metern trifft nur für die alte generation zu. aber man soll sich nicht an kleingkeiten aufhalten. ich finde den lauf-wahn der plusminus mitt-zwanziger bis dreißiger in deutschland noch viel lächerlicher als der gesundheitswahn der älteren koreaner (ohne dir zu nahe treten zu wollen; ich laufe auch einmal im monat, haha)... in korea dient eh alles der gesundheit. und wenn man wirklich pro woche zwei mal wandern geht, lohnt sich auch die investition in die richtige kleidung. das ist für mich die einzige erklärung, warum die so gut ausgerüstet sind (dazu kommt noch, daß die berge wirklich steil und steinig sind). viel spaß noch auf deinen entdeckungsreisen! schön, deinen blog zu lesen.

 
At 15/5/06 17:44, Anonymous Anonym said...

Neulich im Tigerstaat:
Ein dorrrchtrainierter Germane federt leichten und anmutigen Schrittes dorrrch ihn staunend umstehende Asiaten, huldvoll löchelnd und leichte Verbeugungen nach allen Seiten andeutend, die blonde Mähne gravitätisch aus der hohen Störrrn schöttelnd.
Stefan, mein Sohn, du joggst??? Eine Stunde? Boah. *staun*
Verwundernde Zeilen aus einem fernen Land. Wir haben uns wirklich lange nicht mehr gesehen.
Hier hat sich gerade der Nordische KlingKlang ausgetobt, eine Woche Jux und Tollerei, größtenteils ohne mich. Aber schön für die Jugend.
Die Pömmern kommen aus ihren Kammern und Katen und grillen alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Man fällt richtig auf, wenn man nicht grillt hier.
/J. aka "Da Wampen Whaler"

 
At 17/5/06 00:50, Blogger sca said...

@gitte: Ich will nix gegen die ältere Generation gesagt haben. Das war bildkompositorisch einfach nur der allerfeinste Zirkus! Wir werden schließlich alle nicht jünger und erleben gewissermaßen jetzt und hier im Ausland einen Vorgeschmack dessen, was uns in ein paar Jahren in Deutschland blüht. Wenn schon bewegen, dann stilvoll und so richtig großes Kino machen.

Ach ja und: Wanderkleidung - schön und gut. Aber die Koreaner rüsten sich aus als ginge es auf monatelange Expeditionen in unbekannte Gebiete unseres Planeten. Man könnte ja als Einzelperson angesichts der unglaublichen Menschenmassen, die auf den schmalen Bergpfaden dicht gedrängt zusammen laufen, die Orientierung verlieren und müsste dann ohne Schnuffeltuch, ohne Riesentrinkflasche, ohne Kompass, ohne Handy-Fernseher und ohne Quäk-Radio im Rucksacknetz minutenlang ausharren bis der nächste Koreaner um die Ecke biegt, den man nach dem Weg fragen kann. Besser, man hat gleich alles dabei.

 
At 17/5/06 01:00, Blogger sca said...

@Wampen Whaler: Klaro, ich geb mir die gesundheitstechnische Kante. Hab ja kein Sozialleben hier und muss sehen, wo ich bleibe. ;-) Warum also nicht mit den Eingeborenen auf der Laufpiste kuscheln?

Ich will lieber gar nicht erzählen, was ich sonst noch so alles mache, was ich früher nicht gemacht habe.

Ach, Grillen... War das dieses seltsame Verhalten der Germanen bei gefühlten 5 Grad Celsius bis tief in die Nacht vor schauerlich-speckigen Metallrosten zu stehen und zu sehen, wie tote Tierkadaver über der Glut liegen und dabei die Sekunde zu verfluchen, in der sich Farbe und Kruste des Fleisches von ganz deliziös in ganz infarktös verändern? Noch so eine toitsche Unart, die ich vermisse.

 

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