5.7.06

Taepodong-2

So heißt die nordkoreanische Langstreckenrakete, die in der vergangenen Nacht getestet wurde. Die internationalen Reaktionen liessen nicht lange auf sich warten: Einig waren sich die NATO-Verbündeten, dass dieser militärische Akt verurteilt werden müsse. Die Japaner kündigten Sanktionen an.

Die Lage im ostasiatischen Raum war noch nie vollkommen stabil und übersichtlich. Zu viele unterschiedliche Interessen der einzelnen Länder waren miteinander unvereinbar. Und nicht nur die Chinesen, Koreaner und Japaner verfolgten verschiedene Ziele, sondern auch die Amerikaner und die Russen als unmittelbar an diese Region grenzende Supermächte. Das Gerangel um Einfluß und Macht ist weltweit gleich.

Nun könnte man meinen, dass mit dem Ende des Kalten Krieges auch die innerasiatischen Konflikte an Bedeutung verloren hätten, doch die andauernden Spannungen zwischen Nord- und Südkorea sprechen eine andere Sprache. Provokationen und Manöver diesseits und jenseits des 38. Breitengrades standen nach dem Ende des Korea-Krieges auf der Tagesordnung. Bisher war die Welt nur Zuschauer gewesen und das geteilte Land Ausdruck von außenpolitischen Interessensphären gewesen. Der Kalte Krieg mit seinen irrsinnigen Waffendemonstrationen, lächerlichen Militärparaden und übertriebenen Armeepräsenz schien längst überwunden. Durch den Test von Raketen, die eine Reichweite von 6700 Kilometern besitzen, richten sich nun plötzlich die Augen der Weltöffentlichkeit verstärkt auf Nordkorea, das seine Muskeln spielen lässt.

Es ist genau diese Art von pubertärem Verhalten, mit allen Mitteln auf sich aufmerksam zu machen, die von der internationalen politischen Diplomatie als Aggression eines "Schurkenstaates" missverstanden wird. Die innenpolitischen Krisen Nordkoreas haben sich in den letzten Jahren weiter verschärft. Die Landwirtschaft ist ineffektiv. Hungerkatastrophen brechen regelmäßig aus. Die politische Führung des Landes ist nur zu winzigen Zugeständnissen bereit, denn man hat nicht nur sein eigenes Gesicht zu verlieren, wenn das "sozialistische" Experiment der Volksrepublik scheitert, sondern fürchtet auch die Häme des wirtschaftlich äußerst erfolgreichen Bruderlandes Südkorea. Anders in Vietnam und China, die vielleicht auf dem Papier noch "sozialistisch" sind und seit einiger Zeit einem ungebremsten Turbo-Kapitalismus frönen, steht Nordkorea in einem familiären ideologischen Wettbewerb, bei dem es nur Sieg oder Niederlage geben kann. Nur durch die ungeheure Opferbereitschaft und Leidensfähigkeit der großen (vor allem nordkoreanischen) Sippe ist es bisher gelungen, das System zu stabilisieren und am Leben zu erhalten. Die Art, wie die deutsche Wiedervereinigung hergestellt wurde, nämlich über die Konsumwünsche eines vernachlässigten Zonenkindes, wird es in Korea nicht geben. Zu unbekannt und zu weit entfernt sind die Lebenswelten in Nord und Süd. Viele Südkoreaner wissen erstaunlich wenig über ihre Nachbarn. Ich vermute, daß die Menschen in Nordkorea aufgrund fehlender Informationen noch viel weniger Ahnung über den Süden haben - abgesehen von den offiziellen Nachrichten und der historischen Darstellung in den Geschichtsbüchern.

Der nordkoreanische Raketentest bleibt deswegen nicht weniger gefährlich, zeigt es doch, zu welch (fragwürdigen) Leistungen dieses gebeutelte Land noch fähig ist. Angesichts von wirtschaftlichem Niedergang und Hungerkatastrophen sucht die Führung in Pjöngjang ihr Heil in militärischen Drohgebärden und gibt sich in meinen Augen eher als ein hilfloses Kind zu erkennen, daß dringend Aufmerksamkeit und Hilfe braucht, um nicht durchzudrehen. Die internationale Gemeinschaft sollte all das ernst nehmen.

Zu der oft beschworenen Wiedervereinigung der beiden koreanischen Staaten, die eigentlich keine der beiden Seiten so recht will, wird es nur durch einen wirtschaftlichen oder militärischen Kollaps kommen. Man darf nicht vergessen, daß sich Korea immer noch in einem Schwebezustand befindet (ein Friedensvertrag wurde niemals aufgesetzt, geschweige denn unterzeichnet), der nur durch einen harten Schlag beenden lässt. Eine sanfte Lösung, so wie sie sich bei der gesellschaftlichen Transformation im Jahr 1989 in Osteuropa abspielte, halte ich für ausgeschlossen, würde mich aber gern eines anderen belehren lassen.