27.9.06

Das Kaffeeautomaten-Unglück

Es beginnt damit, dass man Lust auf ein Becherchen Kaffee verspürt. Wohin führt der Weg, wenn man, vom Mittagessen gesättigt und zufrieden, in Anam dong den Campus der Korea Universität umschleicht, dabei auf der Suche nach einem Kaffeeautomaten ist, aber den bekannten Gesichtern aus dem Weg gehen will? Außerdem will man weder den allgegenwärtigen Filialen der amerikanischen Kaffeehausketten sein Geld in den Rachen werfen, noch Kaffee aus einer Blechdose inhalieren müssen.

Man sucht als Deutscher wohl immer das Authentische und dieser Gedanke der permanenten Glückssuche mit Echtheitszertifikat trifft im Kern auf die vom Aussterben bedrohten Kaffeeautomaten auf dem Campus zu, die für den sozialistisch anmutenden EVP von 100 Won einen "wönzigen Schlock" braun aufgeschäumter Brühe in ein Pappgefäß spucken, der überraschenderweise sogar recht angenehm schmeckt (immer unter der Prämisse betrachtet, dass ich kein gewohnheitsmäßiger Kaffeetrinker bin und eigentlich keine Ahnung habe vom Aroma eines vollendet veredelten Spitzenkaffees).

In einer Ausgabe der Studentenzeitschrift "Granite Tower" (Name wurde nicht verändert) wurde der Automaten-Kaffee bzw. das, was die Koreaner darunter verstehen, in den höchsten Tönen gelobt. Auch wem der Kaffee nicht schmecken sollte, wird sich über 100 Won (ca. 10 Cent) nicht besonders ärgern, denn das ist in meinen Augen keine Geldausgabe, sondern allerhöchstens als Spende zu betrachten.

Also macht man einen kurzen Abstecher zum naturwissenschaftlichen Campus, um einen dieser leuchtendroten Schränke zu suchen. Viel hat sich seit den Sommerferien auf diesem Gelände getan. Der beliebte Kaffeeautomat ist von seinem Stammplatz verschwunden. Also sucht man weiter und steht wieder draußen auf einem Platz, der so ganz anders aussieht, als man ihn in Erinnerung hatte. Dort, wo im Frühsommer noch Bagger tief im Sand wühlten, erstreckt sich eine Grünanlage. Darunter, halb versunken in der Erde, liegt der neugebaute "Hana Plaza". Man betritt, mit leicht verzerrten Mundwinkeln des typischen Koffein-Junkies auf Entzug, die Einkaufsmeile. In Form einer riesigen marmorierten Tiefgarage mit breiten Gängen, viel Glas und Stahl, laden neben Sofas und Sesseln vor allem Geschäfte die studentische Klientel zum Verweilen ein.

Der umstrittene "Tiger Plaza" auf dem universitären Hauptgelände mit Restaurants war nur der Anfang der Kommerzialisierung. Die Frage, ob und inwieweit eine Universität Geld verdienen darf, wird in Südkorea erst hinterher gestellt - nämlich dann, wenn sowieso schon alles beschlossen ist. Jetzt hat es also die Naturwissenschaftler und Ingenieure erwischt. Jedoch ist das "Tiger Plaza" mit einem "Starbucks", einem koreanisch-italienischem Restaurant, einer "Sports"-Bar und einem "Dunkin' Donut" eine Art Versuchsballon gewesen gegen die Masse von Läden und Filialen, die es im "Hana Plaza" gibt.

Doch, oh Schreck, die "Geiz-ist-geil"-Mentalität, die uns Deutschen erfolgreich durch die Werbung eingebläut wurde, hat es nicht bis Korea geschafft. Vergeblich sucht man hier einen Kaffeeautomaten zwischen all dem Glitzern, Schillern und Leuchten der Reklametafeln, bunten Lichtern und geleckten Fußböden. Hier ist kein Platz für Kaffee-Standardpreise mehr und für eine Auswahl an Sorten, die alle gleich schmecken. Gegen diesen ästhetischen Anachronismus hätten die hiesigen Laden- und Cafébesitzer wohl mit Erfolg protestiert, wenn sich jemals die Frage gestellt hätte: Kaffeeautomat oder kein Kaffeeautomat. Aber die Frage wurde wahrscheinlich gar nicht erst gestellt, weil sie von vornherein unpassend gewesen wäre.

Man darf über diese Entwicklung ruhig ein bisschen jammern und traurig sein, finde ich. Über die beunruhigende Vereinnahmung der Akademie durch das Kapital wird man sich streiten wollen müssen und auch den Satz, dass früher sowieso alles besser war, kann man ruhigen Gewissens anbringen. Über die Verteuerung des Kaffeepreises muss man sich aufregen, denn er rechtfertigt nicht die Bohne den kläglichen Geschmack. Es bleibt alles die gleiche Brühe, da helfen keine Pillen.