23.9.06

Nr. 93

Nach den ersten sehr anstrengenden Wochen im neuen Semester kehrt für einen Moment so etwas wie Ruhe ein. Ruhe ist ein seltsames fremdgewordenes Wort, etwas, das ich in Korea in den seltensten Fällen finde.

Zum Schreiben komme ich eigentlich nur, weil seit gestern Ko Yon Chon ist. Dabei handelt es sich um die alljährlich stattfindenden Wettkämpfe zwischen der Korea und der Yonsei Universität. Das soll nicht heißen, dass dieses Ereignis so großartig ist, dass man unbedingt darüber berichten sollte*, sondern ich hatte zum ersten Mal seit Wochen einen freien Tag. So richtig mit "Bis-um-9-Uhr-Ausschlafen", "Ausgiebigst-frühstücken" und dem sehr angenehmen Gefühl "Heute-passiert-in-erster-Linie-gar-nix-und-das-ist-auch-gut-so". Am Freitag blieb die Uni nämlich geschlossen.

Doch an der nächsten Ecke lauert schon wieder die nächste Stundenvorbereitung. Damit verbunden: einsame Nächte vor dem Kopierer wie anno dunnemals Mario S., endloses Finger-Bodybuilding mit dem Heftklammer-Tacker und das Tag für Tag, das tägliche Suchen von Papieren, Büchern, CDs und CD-Playern, Stiften, technischem Krimskrams und das Lesen unfreiwillig komischer Mails der Lerner, die korrigiert werden müssen, Warten auf Fahrstühle, U-Bahnen und vor Supermarktkassen, Langsam-Sprechen-Üben und stets eine gewisse Ohnmacht verspürend, sich mit der koreanischen Sprache noch nicht weiter angefreundet zu haben...

Die Tage werden kürzer, die Arbeit ist mehr geworden. Ich begreife immer besser, warum sich immer genau die eine Hälfte Südkoreas in einem dornröschenartigen Schlaf befindet, sei es in der U-Bahn, auf der Park- oder Schulbank, während die andere Hälfte vor lauter Arbeit kaum aus den Augen gucken kann. Das Bett ist zu einem Rückzugsort geworden, den ich regelrecht heimsuche.

(*Wer mag, der kann sich Fotos der "Gegenseite" z.B. hier anschauen. Nur in der Farbe unterscheiden sich die Studenten: die "echten Koreaner" von der Korea-Universität tragen alle rote Hemdchen, ansonsten sind die dazugehörigen Rituale wie das Absingen des uni-eigenen Liedguts, militärisches Fahnenschwenken und das allgemeine Rumgehopse nahezu identisch.)

Update: Von verschiedenen Seiten erfuhr ich, dass es bei den Uni-Wettkämpfen leider nicht so friedlich abging, sondern es zu Ausschreitungen kam. Es wird doch alles sehr viel ernster genommen, als ich dachte.