11.11.06

Vertraute Laute

Neulich las ich zufällig die Arbeitskopie eines amerikanischen Kollegen, der seinen Studenten die hohe Kunst des Smalltalks (ein junger Koreaner fragte mich letzte Woche allen Ernstes was das sein solle, pahaha, "kleines Gespräch"; die Indianer nannten es "Großes Palaver" und schwiegen sich dabei stundenlang an - das nur nebenbei) näher bringen wollte. Ein erster Anknüpfungspunkt für ein Gespräch sollte die Frage sein: Welche Musik befindet sich auf deinem iPod?

Leichtes Augenbrauen-Hochziehen meinerseits beim Lesen. Nicht mehr die profane Frage nach dem Musikgeschmack steht anscheinend auf der Tagesordnung. Nein, es muss ein iPod angeschafft werden, um als vollwertiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu zählen und richtig small zu talken.

In Korea führt diese Anweisung (vor dem Beginn eines Gesprächs sich ein technisches Utensil kaufen zu müssen), wahrscheinlich zu Freudenausbrüchen. Es darf ganz offiziell etwas gekauft werden, denn man braucht es, um mitreden zu können. Rein theoretisch wäre es auch möglich, mit seinem Handy Musik im MP3-Format zu hören. Aber schicker ist es doch, noch ein anderes Gadget um den Hals baumeln zu haben. So sieht man in der Seouler U-Bahn nicht selten junge Menschen, die in den Händen eine PSP halten, um deren Hals ein tragbarer Musikspieler hängt und die dann und wann ihr Handy aus der Tasche holen, um irgendetwas damit anzustellen. (Nur eben nicht, um damit Musik zu hören.) Diese Manie scheint aber keineswegs auf Korea beschränkt zu sein, sondern ist ein weltweites Phänomen.

Kulturhistorisch betrachtet hat sich eigentlich nur der Inhalt verändert. Früher hängte sich die Menschheit Schmuck um den Hals, jetzt ist es eben technischer Krimskrams, der lustig flackert und blinkt, auf den man aber ebenso gut verzichten könnte.

Doch halt!

So einfach ist die Sache nicht. Ich für meinen Teil habe seit fast genau einem Jahr einen iPod Shuffle und kann mir schwer vorstellen, ohne den Player aus dem Haus zu gehen. Es ist nicht nur wegen der Musik. Es ist vor allem wegen der Podcasts, die ich regelmäßig höre. Ein Stück Heimat, das ich mit mir herumtrage, das mit seinen vertrauten Lauten, den Tagesrhythmus - mit Musik zu jeder Stimmungslage - beeinflusst , mir Geschichten erzählt, mich in den Schlaf singt und einfach dazu beiträgt, mich wohl zu fühlen.

Wenn es diesen MP3-Player noch nicht gegeben hätte, dann hätte ich ihn eben erfunden.

2 Comments:

At 13/11/06 16:06, Blogger Term Shon said...

ich wette Stefan... das du ein PC user bist... das du aber ein MP3 player von Apple trägst.. hm! was denn nu?
Entweder Apple oder ne Dell Dose. du musst dich schon entscheiden. Wir leben ja alle schliesslich in der wünderschönen Markenwelt!

Ich jedenfalls besitze noch kein iPod oder dergleichen.... mensch bin ich out!

ich hoffe du verstehst wie ich das meine... net böse. Es ist schon eine sehr platte Welt in der wir leben. Hauptsache Branding!

 
At 13/11/06 19:41, Blogger sca said...

Äh, ja klar, PC-User, ehemaliger Mac-User und iPod-Besitzer. Ich finde, das Leben besteht einfach aus einer ganzen Reihe von Widersprüchen. Warum soll ich denn den ganzen Krempel von einem Anbieter kaufen, wenn das Angebot so riesig groß ist?

Äh, ach nö, mir ist es sowas von wurscht, was da für ein Logo draufgepappt ist. Ich benutze meinen Krimskrams für den täglichen Gebrauch, nicht zum Rumzeigen. Diesen Äppel-Wahn hab ich sowieso nie begriffen. Die produzieren halt Geräte, die ein bißchen anders aussehen und funktionieren. So what?

 

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