1.2.07

Papierschnitzel im Livingtel

Eine beliebte Gesprächseröffnung für Koreaner, die einem Ausländer vorgestellt werden, ist die Frage nach dem Stadtteil, in dem man wohnt. Hinter dieser harmlosen Frage verbirgt sich ein ganzer Makrokosmos an ersten groben Einschätzungen, feingesponnenen Verbindungslinien, ordnender Kategorisierungen sowie einer nicht unerheblichen Anzahl gedanklicher Statusfestlegungen und Rangordnungsgedanken im Konjunktiv, die der Koreaner nach einer ehrlichen Beantwortung über den Ausländer anstellt. Wenn man dabei die Augen und den Kopf seines Gegenübers aufmerksam betrachtet, so stellt man fest, dass für einen winzigen Moment die Augen nach innen treten und um den Kopf kleine graue Rauchwölkchen aufsteigen. Gern würde ich diesen Augenblick einmal fotografieren, aber es scheitert immer daran, dass er viel zu kurz ist.

Selbst ein angestrengt nachdenkender Koreaner, der damit beschäftigt ist, den Ausländer irgendwie einzuordnen, wird alle Zusammenhänge, die diese Fragestellung aufwirft, nie gänzlich verstehen können. Zu unübersichtlich ist der Wohnungsmarkt. Die Popularität von bestimmten Stadtteilen ändert sich in bestimmten Abständen und nach der Größe und dem Komfort der Wohnung wird man hier, anders als in Deutschland, fast nie von den Koreanern gefragt (dafür komischerweise aber danach, ob man in seiner Wohnung kochen kann, worauf ich dann antworte, dass wir Deutschen gewöhnlich das Fleisch roh verzehren und Gemüse bei uns im kalten Norrrdlicht nicht wachsen würde, so dass wir aus der Rolle der Barbaren eigentlich nie herausgefunden haben).

Der Stadtteil verrät also nicht nur, wie groß schätzungsweise der Geldbeutel des Gesprächspartners ist und wie hoch sein Jahreseinkommen sein dürfte, sondern auch, in welchem gesellschaftlichem Umfeld er sich bewegt, was für eine Ausbildung er durchlitten hat und wie es um sein partnerschaftliches Seelenheil bestellt ist.

Eine Wohnung in Seoul zu suchen, ist leicht. Es gibt keinen Wohnungsmarkt in den Zeitungen oder Online-Angebote oder öffentliche Aushänge auf dem Campus, wo man sich einen Überblick verschaffen könnte. So bleibt als einzige Möglichkeit der Gang zu einem Budongsan (Immobilienmakler) übrig. Diese Wohnungsvermittler gibt es wie Sand am Meer, an jeder Straßenecke haben sie ihre Büros eingerichtet, die wie folgt aussehen:

Einen Budongsan erkennt man schon von weitem daran, dass entweder alle Jalousien heruntergelassen sind oder man ungehinderte Sicht auf ein schmales Büro hat, in dem eine nicht mehr ganz so junge, aber auch noch nicht so richtig alte Person (männlich, weiblich) sitzt, die angestrengt auf einen Computerbildschirm starrt. An der ganzen Außenfassade kleben Unmengen von weißen DIN A4-Seiten, auf denen die Wohnungsangebote als Kurzfassung beschrieben sind.

Die Inneneinrichtung dieser Maklerbüros, die ich sah, bestand meist aus einem großen abgenutzten Ledersofa, auf denen ein bis drei Männer saßen und rauchten oder Zeitung lasen und irgendwie zum Inventar dazu zu gehören schienen. Wahrscheinlich werden diese Büros nur mit rauchenden zeitunglesenden älteren Herren vermietet, damit es nicht ganz so öde aussieht, wenn man hereinkommt.

Eine bezahlbare Wohnung in Seoul zu finden, ist schwer. Ein sogenannter One-Room (der englische Terminus ist in die koreanische Alltagssprache genauso übernommen worden, manchmal hört man auch "Wonluhm", aber gemeint ist das gleiche) kostete in den nordöstlich gelegenen Stadtteilen Seouls Anam und Bomun im Januar 2007 ab 500.000 Won (umgerechnet 410 Euro) und dabei handelt es sich um einen ca. 15-20 qm großen Wohn- und Schlafraum, der z.T. möbliert ist und Herd, Spüle und Kühlschrank besitzt. Ein Bad und ein Mini-Vorraum, um sich die Schuhe vor dem Betreten der mit einer Ondol beheizten Wohnfläche auszuziehen, komplettieren das Ganze.


Was auf diesem Foto vielleicht noch geräumig aussieht, schmilzt in der Realität auf ein Minimum an Raum zusammen.


Im Preis nicht enthalten waren die Nebenkosten (Strom, Gas, Heizung, Wasser, Telefon, Internet), die zwischen 10-20% der Gesamtmiete ausmachen können. Die Preise für ein Two-Room (also eine Zwei-Zimmer-Wohnung) verdoppeln sich fast.

Natürlich geht es noch billiger in den sogenannten Hasukjib (interessanterweise wird in diesem Artikel auf den Fotos nie das ganze Zimmer gezeigt). Hier ein zweiter Erfahrungsbericht. Vor allem Studenten mieten sich für eine gewisse Zeit in diesen Zimmerchen ein, denn im Preis sind zwei Mahlzeiten (Frühstück, Abendessen) inbegriffen.

Mal abgesehen davon, dass die Immobilienmakler wohl überall auf der Welt etwas abgehalftert aussehen und sich so bewegen, als hätten sie die beste Zeit ihres Lebens schon hinter sich, tragen sie sehr oft eine Verschwörermiene herum, mit der sie zeigen wollen: Ich hätte ja eigentlich noch was besseres als diesen One-Room zu bieten, aber das kostet 'ne Kleinigkeit. Kann aber auch an meiner Mieter-Perspektive liegen, dass ich solche Gedanken habe.

Das Sympathischste passierte allerdings bei dem jungen Chef eines "Livingtels" (eine Zusammensetzung aus den Wörtern Living und Hotel), der erstmal gemütlich einen Tee kochte - also in Pappbecher Teebeutel mit heißem Wasser aus dem Trinkwasserspender übergoß - und sich dann zum großen Palaver niederließ. Während des Gesprächs holte er die Miniaturausgabe eines Aktenvernichters hervor, durch dessen Schlitz maximal ein Briefumschlag passte und leierte dann die Papierhüllen, in denen die Teebeutel aufbewahrt waren, seelenruhig durch das Maschinchen. Kleine Papierschnitzel sammelten sich in dem Auffangbehälter aus Plastik. Ich schaute fasziniert zu. Das hatte Stil, das hatte Größe. Niemals wäre ich auf so eine Idee gekommen!

Was wollte dieser Mann vernichten? Was verheimlichte er durch sein wunderliches Tun? Wurde er wegen überzogener Mietforderungen schon von den Behörden gesucht und versuchte nun Belege dafür zu vernichten, dass ich einen Tee bei ihm getrunken hatte? Wurde ich gerade Zeuge, wie wertvolle Beweisstücke direkt vor meinen Augen unbrauchbar gemacht wurden?

Ich nahm den One-Room dann doch nicht.

2 Comments:

At 9/2/07 02:09, Blogger Gomdori@KU said...

Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

 
At 9/2/07 22:10, Blogger sca said...

Meine Kamera hat das Zimmer sehr weitwinklig aufgenommen, d.h. es ist in der Realität viel schmaler, als es aussieht. Ich nehme an, du meinst dieses "Key money" und das musstest du dort bezahlen. Ich weiß aber nicht, in welcher Höhe. Da ich eine 2-Zimmer-Wohnung suchte, habe ich das da nicht genommen.

Ich habe mir dein Blog angeschaut. Schön, dass ein bisschen publizistische Verstärkung anrollt! ;-) E-Mail an dich ist raus. Melde dich, wenn du in Seoul bist.

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home