15.3.07

E-Mail contra Brief

Wie sehr SMS, E-Mail und Instant Messaging den klassischen Brief verdrängt haben, zeigten mir heute die koreanischen Studenten sehr eindrucksvoll.

Szene 1: Die Studenten sollten ein Bild beschreiben, u.a. war darauf ein Briefumschlag zu sehen. Das Wort "Brief" ist einigen Studenten in diesem Anfängerkurs bereits bekannt. Frage: "Was sehen Sie auf diesem Foto?" Keine Antwort. Ich wiederholte die Frage zweimal, jedes Mal etwas langsamer. Verständnislose Blicke. Ich übersetzte die Frage ins Englische. Keine Reaktion. Letzter Versuch - suuuperlangsam auf deutsch. Eine Studentin meldete sich: "Postkarte!"

Szene 2: In einem anderen Kurs, der die Studenten auf die Prüfung "Zertifikat Deutsch" (ZD) vorbereitet, ging es um den formalen Aufbau eines Briefes oder einer E-Mail. In der ZD-Prüfung müssen die Studenten angemessen auf einen anderen Brief antworten. Die meisten Teilnehmer kenne ich schon aus anderen Kursen, in denen sie bereits selbst Briefe oder E-Mails schreiben mussten. Viele lernen seit zwei oder mehr Jahren Deutsch. Die Herangehensweise an so eine Aufgabe sollte also meiner Meinung nach klar sein. Schon bei den Anredeformen "Lieber/Liebe..." bemerkte ich, dass die Studenten eifrig meine Beispiele von der Tafel abpinseln, obwohl diese Briefanfänge eigentlich klar sein sollten.

Okaaayyy, denke ich mir, schalten wir auch hier zwei Gänge runter. "Nennen Sie mal einen typischen Einleitungssatz, mit dem Sie einen Brief anfangen." Lange Pause. Eine Studentin meinte: "Über das Wetter schreiben." Gut, kann man machen, aber wie wäre es denn mit einer Frage nach dem Befinden oder einem Dankeschön für den erhaltenen Brief? Sehr zögerlich kommen Beispielsätze, die ich an die Tafel schreibe und dankbar von den Studenten abgeschrieben werden.

So geht das die ganze Zeit weiter: Schlusssatz, Verabschiedung, Grußformel. Alles, was ich anschreibe, wird 1:1 übernommen. Für das Erklären, wie man einen Brief aufbaut, brauche ich eine Viertelstunde wertvoller Zeit. Interessant wäre es deshalb zu erfahren, ob solche grundlegenden Schreibtechniken in Korea in der Schule unterrichtet werden oder ob das jedem selbst überlassen bleibt, wie er schreibt.

Ich habe im Anschluß daran mal die Runde befragt, wer wann und wie oft Briefe oder E-Mails schreibt. Die Antworten der Studenten waren ernüchternd. Es werden SMS geschrieben (absolute Konzentration auf die wichtigste Information, normalerweise ohne Anrede, Grußformel, etc.) oder es wird gechattet (Ich warte wieder auf den Tag, in der ich in den Briefen wieder Smileys und typische Internetabkürzungen finde...). Postkarten werden vergleichsweise häufiger geschrieben als Briefe, aber auch nur ganz selten und dann auch eher von den romantischen Typen.

Zugegeben, auch ich habe meinen letzten Brief vor etlichen Monaten geschrieben - nämlich vor den Weihnachtsfeiertagen. Sollte man die Lehrpläne also besser an die neuen Kommunikationsformen anpassen und stärker auf E-Mail & Co. im Sprachunterricht eingehen? Ich bin auf jeden Fall dafür, plädiere allerdings auch dafür, dass die konventionellen Briefstrukturen weiterhin vermittelt werden. Es ist einfach eine Frage der Höflichkeit dem Leser und Empfänger gegenüber, ihn korrekt anzureden und sich am Ende ebenso korrekt wieder zu verabschieden.

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6 Comments:

At 17/3/07 08:23, Anonymous Anonym said...

Ob Geschäftsbrief oder -E-Mail, ganz egal, sollte man als Anrede "Sehr geehrte(r) Frau(Herr) ..." benutzen. "Liebe(r) Frau(Herr) ..." oder "Werte(r) Frau(Herr) ..." geht GAR NICHT!
CaRo

 
At 17/3/07 10:02, Blogger sca said...

Ja, natürlich.

Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass es um private E-Mails oder Briefe geht. Da wirkt die Anrede "Sehr geehrte(r)..." deplaziert.

 
At 17/3/07 21:42, Anonymous Anonym said...

ZD ist Grundstufenprüfung

 
At 18/3/07 08:18, Blogger Gitte said...

interessantes nachdenkfeld, daß du da aufgetan hast. in korea ist man ja eh nicht so hinterher, e-mails zu beantworten (sagen sie auch auch selber über sich), vielleicht liegt es an einem anderen höflichkeitsbegriff, denn höflichkeit kann man den koreaner überhaupt nicht absprechen. vielleicht entwickelt sich sowas später, denn ich kenne leute, die zu bestimmten anlässen (neujahr, chuseok) an vorgesetzte / höhergestellte briefe schreiben. dafür gibt es ja auch floskeln. aber solche dinge wie "mfg", "dein(e) xy" kennt man einfach nicht. klar lernt man im dt-unterricht, wie in d briefe geschrieben werden, aber wenn im eigenen land die kultur dafür komplett fehlt, kann man das doch schwer nachvollziehen und konsequenterweise schlecht verinnerlichen. frag deine studenten doch mal, wie sie anschreiben für bewerbungen schreiben. vielleicht haben sie das vor beendigung der uni ja auch noch nie gemacht, was wieder für die später-lern-these sprechen würde. dies sind nur ein paar wirre gedanken, vielleicht ist was brauchbares für dich dabei!

 
At 18/3/07 23:51, Blogger sca said...

@anonym: Danke. Geändert.

@gitte: Ich habe mal so ein schriftliches Bewerbungstraining in einem Kurs hier ausprobiert und das wurde recht dankbar von den Studenten angenommen. Mittlerweile haben sich im Zuge der Globalisierung (so fatal diese Entwicklung in vielerlei Hinsicht auch sein mag) gewisse Standards bei der Korrespondenz herausgebildet, die international gebräuchlich sind. Nur ein Beispiel: der Einatz von Signaturen ganz am Ende einer E-Mail mit Name, Position in der Firma, Abteilung, Adresse, Telefon, etc., die die Kontaktaufnahme wesentlich erleichtern.

So richtig lernt man das Bewerbungs-Schreiben an deutschen Schulen nach meiner Erfahrung auch nicht, denn die Grabbeltische der Jobsuche-Ratgeber erfreuen sich in den Buchhandlungen nach wie vor großer Beliebtheit. Ich persönlich habe mich ernsthaft mit dem Thema am Ende meines Studiums beschäftigt, als es unumgänglich geworden war - eigentlich zu spät!

 
At 20/3/07 00:05, Blogger Gomdori@KU said...

Hehe, ja das Problem hatte ich mit einer Schülerin auch, die ich gerade auf das ZD versucht habe vorzubereiten...Wir haben nen Brief ins Blaue geschrieben.
Heraus kam die Anrede "JaXXXXki!" (also einfach mein Nachname mit Ausrufezeichen)
Am Schluss war dann gar nichts, obwohl ich bei beidem weiß, dass es das in koreanischen Briefen geben MUSS. Hat nichts mit Kulturunterschied zu tun.

 

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