11.11.07

Wandertag im Menschenstrom

Anfang November war wohl die letzte Möglichkeit in diesem Jahr, in den Bergen in der Umgebung von Seoul bei milder Witterung zu wandern. Spätvormittags fuhren wir zum Dobongsan im Nordosten der Stadt und gerieten in das schon bekannte Getümmel der sportiven Hauptstädter, die sich scharenweise hinauf zu den Gipfeln bewegen sollten.


Vorteile des unfreiwilligen Wanderns in der Gruppe:
  • kaum Orientierungsschwierigkeiten, da man nicht verloren gehen kann, wenn vor und hinter einem Dutzende Koreaner auf schmalsten Wanderwegen drängeln und man praktisch in einem Menschenstrom einfach weitergeschoben wird
  • bei Notfällen (kein Handy, Fuß gebrochen, kein Picknick eingepackt, kein Wasser in der Wasserflasche, kein Pflaster, kein Taschentuch) sind gleich ein paar helfende Hände da
Nachteile:
  • keine Ruhe
  • nirgends ein Fleckchen, wo man ungestört nur für sich ist
Auf dem Berg gelten im übrigen andere Gesetze. Wo man unten im Alltagsleben des Stadtkessels häufig ein sehr starres formales Miteinander der Koreaner erlebt (z.B. Verbeugungen beim Begrüßen und Verabschieden bis zum Geht-nicht-mehr), legt man mit dem Betreten der Natur seine antrainierte soziale Persönlichkeit wie ein Gewand ab und schlüpft in das legere Freizeithemd, angefüttert mit vielen lauten neugierigen Fragen und Gesprächen mit wildfremden Menschen, denen man sich nicht vorstellen muss und mit denen man trotzdem sofort per du ist. Allerhand Essen und Getränke ("mit M") werden freundschaftlich geteilt und Beobachtungen über das Wetter angestellt, die unterschiedlichsten Schwierigkeitsgrade der Wanderwege erörtert und über die Vorkommnisse der letzten Wanderungen palavert - ganz so, als würde man sich schon sehr lange kennen.

Ein Wandertag mit Koreanern läuft ungefähr so ab: Man trifft sich schon sehr zeitig an einem der einschlägigen U-Bahn-Bahnhöfe, von denen es dann nicht mehr weit in die Berge ist. In Gruppen, selten unter 4-6 Personen und gut gerüstet mit allerlei Zubehör (Proviant, Decken, Flaschen, Fotoapparaten, Radios) geht es auf zumeist sehr steilen und felsigen Wegen hoch. Oben breiten sich auf einer schönen Felsplatte grüppchenweise die Picknicker aus. Am frühen Nachmittag steigt man bereits wieder ab, um Zeit für das ausgiebige Abendessen im Tal zu haben. Dort, an den Rändern und Ausläufern des Berges haben sich kleine Satellitenstädte herausgebildet, wo sich Restaurant an Restaurant reiht.

Dort lässt man in ungezwungener Atmosphäre den Wandertag bei reichlich Alkohol, Fleisch, Fisch und Salat ausklingen und quetscht sich mit tausenden anderen Rückkehrern beim Heimweg in die U-Bahnen, die die Wanderer wieder nach Seoul schaffen.

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