21.7.06

Sommer vorm Balkon

Was für ein Irrsinn bei Temperaturen um die 30 Grad ins Kino zu gehen! Der Kopf schmerzt und ist müde. Die Sachen kleben am Körper. Man ist gereizt und kann sich schlecht konzentrieren. Die besten Voraussetzungen, um sich eigentlich nur das Gesehene zu ärgern. Hinterher vielleicht.

Wir gehen nicht in eines der zahlreichen Freiluftkinos, die es in meiner Heimatstadt gibt und in denen das Schwitzen einigermaßen erträglich ist, sondern in ein kleines unklimatisiertes Vorstadtkino. Gezeigt wird "Sommer vorm Balkon" von Andreas Dresen, ein Film aus Berlin über Berlin von Nicht-Berlinern (bis auf den Drehbuch-Autoren kommen alle aus der deutschen Provinz). So richtig brandneu ist der Streifen nicht mehr, aber ich hatte versäumt, den Film vor meiner Abreise nach Korea zu sehen, so daß ich das nun nachholen wollte.

Der Beginn - was für eine Überraschung - beginnt mit einem Bewerbungstraining. Die unsichere Protagonistin übersteht peinliche Minuten eines fiktiven Bewerbungsgesprächs und scheitert. Im Grunde genommen erzählt der Film viel über das menschliche Scheitern. Im Beruf. In der Liebe. Der Realismus, der dem Zuschauer hier begegnet, ist gefühlsecht. Keine hochglanzpolierten Wohnungen. Kein Garderoben-Styling. Kein abgehobenes oder banales Gestelze in der Sprache. Dafür lakonische Dialoge, die einen zum Schmunzeln bringen.

Regisseur (Andreas Dresen) und Drehbuch-Autor (Wolfgang Kohlhaase) bilden eine deutsche (besser: Berliner) Befindlichkeit ab, die tatsächlich so oder ähnlich existiert oder zumindest gut dem Leben abgelauscht ist und eine bestimmte Relevanz besitzt. Für Gefühlskitsch ist da kein Platz. Das mag auf der einen Seite schwer zu ertragen sein, wenn man mit dem Wunsch ins Kino geht, sich unterhalten zu lassen. Trotzdem verbreiten gerade die beiden Hauptdarstellerinnen einen ungebrochenen Optimismus. Zum Glück gibt es kein Happy-End.

Als wir nach draußen gingen, erzählten wir uns die besten Stellen noch einmal und versuchten uns gegenseitig zu erklären, warum uns der Film so gut gefallen hat. Auffällig ist auch, daß wir Abend für Abend länger auf unserem Balkönchen sitzen und den verdämmernden heißen Tagen beim Verdursten zusehen.

19.7.06

Wandernde Wörter

Gerade zurück aus dem Wanderurlaub im Fichtelgebirge, lese ich einen Artikel über "ausgewanderte Wörter". Irgendwie passend zu meiner Situation. Die Beispiele, die in diesem Artikel genannt werden, will ich noch ergänzen um: Rucksack, Schnaps, Schlagbaum, die zumeist im osteuropäischen Raum auch verstanden, zum Teil aktiv verwendet werden (Polen, Rußland, Litauen, Tschechien) und im weitesten Sinne auch mit dem Thema "Wanderurlaub" in Verbindung gebracht werden können.

Schwieriger mit den deutschen Lehnwörtern wird es schon im Koreanischen. Allseits bekannt ist das "Hop" (sprich: "Hoop" mit langem "O"; abgeleitet vom deutschen Wort "Hofbräuhaus", sprachökonomisch verkürzt und soviel wie "Kneipe" bedeutend). Ein entscheidender Faktor, warum sich vergleichsweise wenige deutsche Lehnwörter in der koreanischen Sprache wiederfinden, ist in der geografischen Entfernung zu suchen. Der Anteil chinesischer und japanischer Begriffe ist dagegen auffallend hoch und liegt zwischen 40-60%. Die Gründe sind sicherlich in der bewegten Geschichte Koreas zu suchen, das oft unter dem Einfluß fremder Herrscher stand (den eben genannten Japan und China). Ähnlich hoch war vielleicht der Anteil an französischen Lehnwörtern im 18. und 19. Jahrhundert in der deutschen Sprache, der aber gesellschaftlich auf den Adelsstand begrenzt blieb.

Ich habe sehr oft erlebt, daß Chinesen und Japaner weniger Schwierigkeiten mit dem Erlernen der koreanischen Sprache haben. Das liegt nicht nur an der Verwendung von Zeichen- statt Buchstabensystemen. Viel häufiger habe ich in Sprachkursen gehört, daß Japaner und Chinesen sich bei bestimmten Wörtern nur in die koreanische Aussprache "hineinhören" müssten, denn dann würden sie auch die Bedeutung der Wörter erkennen.

Ein letzter Gedanke, der allerdings noch weiter nach Osten führt, sei den deutschen Lehnwörtern im Japanischen gewidmet. Verblüffend, warum sich da ausgerechnet Begriffe wie "Steigeisen" und "Edelweiß" aus dem Bereich "Bergsteigen" durchgesetzt haben. Da ich weiß, daß viele Leser es schätzen, wenn sich der Kreis innerhalb eines Postings (englisches Lehnwort!) wieder schließt, möchte ich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen und auf den Zusammenhang zum oben erwähnten Wanderurlaub hinweisen.

7.7.06

Formel-B

Ab 2009 soll es in Südkorea auch Formel-1-Rennen geben. Fest steht noch nichts, aber eigentlich sollte die Planung und Durchführung nicht weiter schwer sein. Es gibt doch schließlich genügend qualifizierte Busfahrer in Seoul und Umgebung, die als Rennfahrer in Frage kommen und einen klaren Heimvorteil besitzen. Ich könnte mir einen innerstädtischen Parcours (vgl. Monaco) vorstellen. Statt Rennwagen gibt es Rennbusse und die größte Innovation besteht darin, daß die Zuschauer an bestimmten Haltepunkten zu- bzw. aussteigen dürfen. Boxenstopps entfallen damit. Das ganze heißt dann "Formel-B".

Nationale Rabatte

Die nationale Debatte, ob und warum wir Deutschen wieder stolz auf uns sein dürfen, ist mit dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft zu Ende gegangen. Die Kommentatoren beackern wieder andere Meinungsfelder. Die Autofahrer nehmen ihre bunten Wimpel von den Autofenstern ab. Über Klinsmann empört sich kein Mensch mehr, weil er in Amerika lebt oder seine Frau zu wichtigen persönlichen Entscheidungen befragt. Jetzt bettelt die Medienmeute schon halb darum, er möge doch bitte weitermachen. Wenigstens bis zur EM 2008. Erst Schelte, dann Anbiederung - alles schon mal in anderen Zusammenhängen gesehen (Stichwort: Rudi Völler).

Auf der anderen Seite freut sich Frank Lehmann in der ARD darüber, daß Deutschland nicht mehr Weltmeister werden kann, denn laut Statistik hätte das Wirtschaftswachstum der Länder, die in der Vergangenheit den Weltmeisterschaftstitel errangen, in dem jeweiligen Jahr stagniert. Bloß gut, daß Deutschland nicht mehr Weltmeister werden kann! Ein weiteres Jahr mit 5 Millionen Arbeitslosen und 1% Wirtschaftswachstum wäre ja kaum noch auszuhalten gewesen!

Kommen jetzt also die fetten Jahre auf die Deutschen zu? Sollten wir schon mal anfangen, das Geld mit vollen Händen rauszuwerfen angesichts der prächtigen Stimmung im Land? Gelegenheiten gibt es derzeit mehr als genug. Alles wird plötzlich günstiger, wenn man jetzt einkaufen geht: T-Shirts reduziert von 19,99 € auf 3,99 €, Bettwäsche von 17,99 € auf 8,99 €, Basecaps von 9,99 € auf 2,99 €, Badehandtücher von 14,99 € auf 7,99 €, Schals von 10 € auf 6 €.

Man muß allerdings schon genau hingucken, was man kauft. Auf jeden Fall sollte auf den Textilien entweder eine Deutschland-Flagge oder ein FIFA-Logo oder ein entsprechender weltmeisterschaftlicher Schriftzug angebracht sein oder alles zusammen, dann ist mit kräftigen Rabatten zu rechnen. Marktwirtschaftliches Denken macht vor nationaler Nabelschau eben nicht Halt.

5.7.06

Taepodong-2

So heißt die nordkoreanische Langstreckenrakete, die in der vergangenen Nacht getestet wurde. Die internationalen Reaktionen liessen nicht lange auf sich warten: Einig waren sich die NATO-Verbündeten, dass dieser militärische Akt verurteilt werden müsse. Die Japaner kündigten Sanktionen an.

Die Lage im ostasiatischen Raum war noch nie vollkommen stabil und übersichtlich. Zu viele unterschiedliche Interessen der einzelnen Länder waren miteinander unvereinbar. Und nicht nur die Chinesen, Koreaner und Japaner verfolgten verschiedene Ziele, sondern auch die Amerikaner und die Russen als unmittelbar an diese Region grenzende Supermächte. Das Gerangel um Einfluß und Macht ist weltweit gleich.

Nun könnte man meinen, dass mit dem Ende des Kalten Krieges auch die innerasiatischen Konflikte an Bedeutung verloren hätten, doch die andauernden Spannungen zwischen Nord- und Südkorea sprechen eine andere Sprache. Provokationen und Manöver diesseits und jenseits des 38. Breitengrades standen nach dem Ende des Korea-Krieges auf der Tagesordnung. Bisher war die Welt nur Zuschauer gewesen und das geteilte Land Ausdruck von außenpolitischen Interessensphären gewesen. Der Kalte Krieg mit seinen irrsinnigen Waffendemonstrationen, lächerlichen Militärparaden und übertriebenen Armeepräsenz schien längst überwunden. Durch den Test von Raketen, die eine Reichweite von 6700 Kilometern besitzen, richten sich nun plötzlich die Augen der Weltöffentlichkeit verstärkt auf Nordkorea, das seine Muskeln spielen lässt.

Es ist genau diese Art von pubertärem Verhalten, mit allen Mitteln auf sich aufmerksam zu machen, die von der internationalen politischen Diplomatie als Aggression eines "Schurkenstaates" missverstanden wird. Die innenpolitischen Krisen Nordkoreas haben sich in den letzten Jahren weiter verschärft. Die Landwirtschaft ist ineffektiv. Hungerkatastrophen brechen regelmäßig aus. Die politische Führung des Landes ist nur zu winzigen Zugeständnissen bereit, denn man hat nicht nur sein eigenes Gesicht zu verlieren, wenn das "sozialistische" Experiment der Volksrepublik scheitert, sondern fürchtet auch die Häme des wirtschaftlich äußerst erfolgreichen Bruderlandes Südkorea. Anders in Vietnam und China, die vielleicht auf dem Papier noch "sozialistisch" sind und seit einiger Zeit einem ungebremsten Turbo-Kapitalismus frönen, steht Nordkorea in einem familiären ideologischen Wettbewerb, bei dem es nur Sieg oder Niederlage geben kann. Nur durch die ungeheure Opferbereitschaft und Leidensfähigkeit der großen (vor allem nordkoreanischen) Sippe ist es bisher gelungen, das System zu stabilisieren und am Leben zu erhalten. Die Art, wie die deutsche Wiedervereinigung hergestellt wurde, nämlich über die Konsumwünsche eines vernachlässigten Zonenkindes, wird es in Korea nicht geben. Zu unbekannt und zu weit entfernt sind die Lebenswelten in Nord und Süd. Viele Südkoreaner wissen erstaunlich wenig über ihre Nachbarn. Ich vermute, daß die Menschen in Nordkorea aufgrund fehlender Informationen noch viel weniger Ahnung über den Süden haben - abgesehen von den offiziellen Nachrichten und der historischen Darstellung in den Geschichtsbüchern.

Der nordkoreanische Raketentest bleibt deswegen nicht weniger gefährlich, zeigt es doch, zu welch (fragwürdigen) Leistungen dieses gebeutelte Land noch fähig ist. Angesichts von wirtschaftlichem Niedergang und Hungerkatastrophen sucht die Führung in Pjöngjang ihr Heil in militärischen Drohgebärden und gibt sich in meinen Augen eher als ein hilfloses Kind zu erkennen, daß dringend Aufmerksamkeit und Hilfe braucht, um nicht durchzudrehen. Die internationale Gemeinschaft sollte all das ernst nehmen.

Zu der oft beschworenen Wiedervereinigung der beiden koreanischen Staaten, die eigentlich keine der beiden Seiten so recht will, wird es nur durch einen wirtschaftlichen oder militärischen Kollaps kommen. Man darf nicht vergessen, daß sich Korea immer noch in einem Schwebezustand befindet (ein Friedensvertrag wurde niemals aufgesetzt, geschweige denn unterzeichnet), der nur durch einen harten Schlag beenden lässt. Eine sanfte Lösung, so wie sie sich bei der gesellschaftlichen Transformation im Jahr 1989 in Osteuropa abspielte, halte ich für ausgeschlossen, würde mich aber gern eines anderen belehren lassen.

Ups Ups

Vielleicht kehrt jetzt - nach dem glücklosen Ausgang des Spiels gegen Italien - wieder etwas mehr Realität ein. Deutschland hat am Sonnabend noch Chancen auf Platz 3.

Honni soit, qui mal y pense


Gesehen in Berlin-Lichtenberg, 4. Juli 2006, 11:45 Uhr.

1.7.06

Ups-Bäng (mit Happy End)

Minutenlanges Schweigen nach Ayalas Tor in der 49. Minute auf der Berliner Fanmeile.


Glücklich beendetes Elfmeterschießen und die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen und Ausdünstungen...