29.3.06

Danke, Leser

Zehn Tage war der Autor krank!

Jetzt bloggt er wieder. Gott sei Dank!
(frei nach Wilhelm Busch)

Da bin ich wieder. Nach heftigem Schnupfen und Husten fühle ich mich wieder in der Lage, weiter zu schreiben. Die Zwangspause war lang, hoffentlich jedoch nicht zu lang.

Bedanken möchte ich mich für die vielen Kommentare und E-Mails, die mich in der Zwischenzeit erreicht haben. Anscheinend werden meine Texte ganz gern gelesen und das freut mich. Oft hat man ja als Blogger das Gefühl, für nichts und niemanden zu schreiben. Das Internet ist groß und weit und da geht ein Text schnell unter.

Auf jeden Fall haben mir eure vielen guten Wünsche moralisch sehr geholfen. Meine Stimme klingt zwar immer noch ziemlich angekratzt und manchmal erlebe ich seltsame Schwankungen in der Tonhöhe, wie ich sie zuletzt im Stimmbruch erlebt hatte, aber der Kopf ist wieder klar und voller neuer Ideen, die Hände beweglich.

Wohlan denn, auf zu neuen Heldentaten.

19.3.06

Krankmeldung

Mich hat es erwischt. Bin seit Freitag krank. Die Nase tropft wie wahnsinnig, habe Husten und leichtes Fieber. Gleich mal zum Inhalieren ins Bad und danach ins Bett.

Dabei habe ich noch soviele Notizzettel auf meinem Schreibtisch herumzuliegen, also Dinge, über die ich gern schreiben würde. Letzte Woche hat sich noch so einiges ereignet...

Ich will den Grund für die Erkältung nicht nur auf Donnerstagnacht schieben (da war die Einführungsveranstaltung für die Erstsemester gewesen und ich blieb bis halb zwei Uhr morgens). Die ganze vergangene Woche hatte ich einfach zu wenig geschlafen, viel für den Unterricht vorbereiten müssen und mich nicht richtig ernährt. Mein Körper reagiert da sehr empfindlich. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis ich so richtig krank war.

Ich drück mir selbst mal ganz kräftig die Daumen, daß diese Zeit der Untätigkeit bald vorbei ist.

14.3.06

Bin - ab jetzt - wichtig

Bitte merken: Ab heute bin ich richtig wichtig. Auf meinen 500 Visitenkarten (leider kein Witz) steht "invited professor" (eingeladener Professor). Ich frage mich, wann und zu welchen Anlässen ich 500 Visitenkarten unters Volk bringen soll. Heute bin ich gleich mal zwei davon losgeworden - innerhalb von 5 Minuten! Wenn das in dem Tempo so weitergeht...

Die Kärtchen sehen sachlich-nüchtern aus, aber natürlich mit dem unvermeidlichen Uni-Logo. Trotzdem schick. Ich freue mich, dazugehören zu dürfen. Korea University. Global Pride. Mit Adresse, Webseite der Uni, Telefon, Fax und allem Pipapo. Vorne englisch, hinten koreanisch. Mein Name lautet hier "Setepan Kal" und ich hab gleich mal den schönen Satz in die Bürorunde geworfen: "You can call me Kal".

Jaja, da lacht der Bär.

13.3.06

Was ist das?

Nicht nur die Supermärkte sind gigantisch groß, sondern auch die offenen Märkte. Seoul ist ein einziger Freiluftmarkt. Verkauft wird alles. Und zwar überall. Selbst auf einer kleinen Verkehrsinsel einer stark befahrenen Kreuzung sah ich drei Händler sitzen, die ihre Waren auf Pappen vor sich ausgebreitet hatten: einer mit ein paar Kartoffeln, der zweite mit Zigaretten, der dritte mit Gurken.

Beim Gang über den Markt fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Schildkröten schwammen in Wasserbecken und wurden zum Verkauf angeboten. Auch Fische und Krabben. Daneben war ein Gewürzhändler, der Baumrinde und irgendwelche Hölzer verkaufte. Dazu Pilze, Beeren, Tees, Blüten, kleine Früchte. Unbekannte Obst und Gemüsesorten. Kleidung. Tiere. Die Angebotsfülle ist überwältigend. So viele Dinge, die man nicht kennt.

Schließlich stand ich vor einem großen Faß mit... Tja, das ist... ähm, das sind... na, ihr kommt schon drauf. Antworten bitte als Kommentar veröffentlichen.

Homeplus II

Einkaufen bei "Homeplus" ist wie die Ankunft im güldenen Westen. Die Auswahl ist gigantisch. Der Supermarkt ist rund um die Uhr geöffnet, selbst am Wochenende. Die Koreaner kennen den Begriff "Mitternachts-Shopping". D.h., die Leute gehen hier spätnachts einkaufen, weil dann die Ladenbesitzer müde und unkonzentriert sind und eher mit sich Handeln lassen.

Mir sind bei meinem zweiten Einkauf bei "Homeplus" so viele Sachen aufgefallen, die ich kurz aufzählen möchte:

Neben der Stelle für die Einkaufswagen, gleich am Eingang, sieht man kleine Schließfächer mit einem Gitterfenster. Meine Begleiterin meint, daß seien Hundeboxe. Da man die Tiere nicht vor dem Supermarkt anbindet, nimmt man sie mit rein und sperrt sie in so ein Schließfach. (Aus Angst, daß die Hunde vom Hundefänger geklaut werden. Von wegen, nur in China essen sie Hunde! Ein Gang über den Markt beweist das Gegenteil.)

Die Produkte haben recht eigenwillige Namen. So heißt ein Reinigungsmittel "Combat" (Kampf). Warum ist noch kein Werbetexter in Deutschland auf so einen Markennamen gekommen?

Die Packungsgrößen sind zum Teil aberwitzig. Shampoo und Duschgel gibt es nur in Literflaschen. Alleinlebende, die kleinere Abpackungen brauchen, haben das Nachsehen.

Das Geschäft mit den Beigaben blüht: Wenn man vier Joghurts kauft, kriegt man zwei gratis dazu. Wenn man einmal Streichkäse kauft, kriegt man noch 10 Instant-Kaffeebeutelchen dazu, etc. Die Beigaben haben nicht unbedingt etwas mit dem Hauptprodukt zu tun. Wenn man Klopapier kauft, gibt's als Extra eben noch ein Packerl Waschmittel. Moment, vielleicht steckt doch eine gewisse Logik dahinter...

Es gibt "german bread" (tok il bbang). So steht es wenigstens auf der Tüte. Farblich schwankt es zwischen Weiß- und Mischbrot. Noch habe ich den runden Brotlaib nicht angeschnitten. Er fühlt sich so leicht an. Nur die Kruste ist fest. Letztes Jahr, als ich in Sachsen war, gab es auch so eine Art Brot: Außen schön kross, innen ganz hohl. Aber da das eine Spezialität der Region war, wußten die Käufer, was sie erwartet. Andererseits - - - die Koreaner werden auch Witze über das Kimchi machen, daß es in Deutschland als Konserve zu kaufen gibt.

An der Kasse wird man nach einer Rabattkarte gefragt. Selbst der kleinste Supermarkt hat irgendein Kundenbindungsprogramm. Bei meinem Stammladen in Campusnähe gibt es grüne Sammelpunkte, die man auf ein Zettelchen kleben muss. Wenn man die Weintrauben alle aufgeklebt hat, kann man sich Waren im Wert von 4000 Won aussuchen. Die Koreaner sind ganz wild auf Rabatte. Da diese Unsitte auch vor Restaurants nicht haltgemacht hat, kommt es vor, daß die Leute nur in einem Restaurant Platz nehmen, daß auch ausreichend "Service" (z.B. eine Extraportion Fleisch) anbietet.

Meene Kleene


Endlich lese ich die ersten Kommentare. Man hängt als Autor eines Blogs ja immer so ein bisschen in der Luft. Keine Ahnung, wer hier alles mitliest, wenn es keine Rückmeldungen gibt. Aber, ha...

Einem Leser gelüstet es nach mehr Fotos. Dieser Wunsch ist mir Befehl. Ich gelobe Besserung und werde von nun an mehr knipsen. Ja, knipsen ist das richtige Wort für meine Kamera.

USB-Kabel habe ich inzwischen. Batterien auch. Nur vergesse ich viel zu oft meine Digital-Kamera von AIPTEK mitzunehmen. Die ist superklein, superalt (im Jahr 2000 bei ALDI für 79 Märker gekauft!) und macht richtig schöne verwischte unscharfe Bilder, auf denen man nichts erkennen kann. Wer weiß, was eine "Lomo" ist, der weiß, was ich meine.

Außerdem hat meine Kamera auch keinen Bildschirm auf der Rückseite, so daß ich nie so richtig weiß, ob die Aufnahmen brauchbar sind. Überraschungen gehören also immer dazu.

Zoom hat sie nicht. Blitzlicht auch nicht. Ich höre immer nur ein tiefes Piepsen, wenn die Lichtverhältnisse nicht optimal sind und deswegen nicht aufgenommen werden kann (und das ist gerade in Räumen sehr oft der Fall) oder ein hohes Piepsen, wenn ich was aufgenommen habe. Trotzdem liebe ich das Teil. Es ist "meene Kleene". Ich will gar keine andere Kamera haben. Unterwegs bin ich sehr flink damit, brauche nicht rumzoomen, sondern drücke kurz ab und dann weiter. Hinterher sortiere ich dann aus. Ich produziere natürlich viel Ausschuß, aber das ist egal. Seit es Digitalkameras gibt, wird sowieso nicht mehr fürs Fotoalbum aufgenommen, sondern nur für den flüchtigen Moment.

10.3.06

Vom "Ichieh" zum "Icke"

Lehrer: Wie heißen Sie?
Student A: Ichieh heiße...
Lehrer: Moment, wie heißen Sie?
Student A: Ichieh...
Lehrer: *räusper
Student A: *verunsichert guck
Lehrer: Ich heiße...
Student A: Ichieh...
Lehrer: Ich, ich, ich... Machen Sie mal nach - chhhhh, chhhhh, chhhhh.
Student A: Chhieh, chhieh, chhh.
Lehrer: Jaja, nochmal. *ermunternd anguck
Student A: Chhhh, chhieh, chhhh. *wiederholt mit zunehmender Begeisterung
Lehrer: Und wie heißen Sie?
Student B: Iiiiih heiße....
Lehrer: *ohnmächtig zu Boden taumelnd

Dit nächste Ma' sa' ick "Icke haisse...". Börlin rules! Sowat könn' die nämich. Is echt blöde, dit die keene Auslautvahärtung bei die Konsonanten ham.

Musik am Morgen

Auf dem morgendlichen Weg ins Büro laufe ich immer ein Stück über den Campus, der musikalisch in einer Art und Weise beschallt wird, daß man das gehörte Lied nicht mehr aus dem Kopf bekommt und den ganzen Tag einen prächtigen Ohrwurm hat.

So geschehen gleich am ersten Tag an der Uni, als ich nichtsahnend an einem Laternenpfahl vorbeiging und plötzlich Bonos U2 ein "Hello, hello..." in meinen Gehörgang schmetterte, daß ich kurz zusammenzuckte. Schön, daß man gleich so freudig willkommen geheißen wird, dachte ich. Andererseits hat die musikalische Umweltverschmutzung ihren Höhepunkt erreicht, wenn selbst auf Straßen schon in aller Frühe herumgeträllert wird. Die Wirkung des Lieds ließ erst am Nachmittag wieder nach.

Beliebt ist auch eine kurze instrumentale Passage aus Supertramps "Dreamer", daß gern als Jingle zwischen zwei längeren Liedern verwendet wird. Dazu wird noch etwas Patriotisches auf koreanisch gesagt, denn man kann gar nicht oft genug den Studenten einbläuen, daß sie an der Korea Universität studieren und darauf sehr stolz sein sollten.

Ich liebe Herr Carl

Tja, was sagt man dazu, es sind anderthalb Wochen herum und ich bekomme die ersten Liebeserklärungen von meinen Studenten zu lesen. Und das kam so:

Die Deutschkurse bei den Anfängern sind so groß, daß meine Kollegin und ich uns einen Kurs teilen. Sie unterrichtet die Fortgeschrittenen, ich die Anfänger. Leider hält sich jeder der Koreaner für einen Anfänger, obwohl er oder sie jahrelang die Sprache in der Schule oder an der Universität gelernt hat. Selbst Studenten, die im Ausland waren, wollen in die Anfängerkurse, um möglichst gute Noten zu erreichen. Die sind wiederum wichtig, um das Studium mit Auszeichnung abzuschließen und später einen lukrativen Job zu ergattern. Nicht verwunderlich ist es also, daß in den Anfängerkursen oft Leute sitzen, die von ihrem Wissen und Wortschatz eigentlich zu gut für den Kurs sind, aber aus strategischen Gründen denken, daß sie es bei den Prüfungen einfacher haben. Ob der Kurs ihrem persönlichen Sprachniveau entspricht, ist für sie eher zweitrangig.

So geschah es, daß in meinem Anfängerkurs heute achtzehn Lerner saßen ("So kann ich net arbeidde...") und im Fortgeschrittenenkurs bei meiner Kollegin acht. Selbst der höflich adressierte Abwerbungsversuch meiner Kollegin an einen Studenten ("Sie sind gut. Sie schaffen auch den Fortgeschrittenenkurs") blieb vergeblich. Die Antwort per SMS kam postwendend: "Ich liebe Herr Carl."

Wir singen: "Dö-dö dö-dö dö-dö..."

8.3.06

Homeplus

Mein erster Einkauf in einem winzigen Supermarkt (immerhin mit Selbstbedienung) lief folgendermaßen ab. Ich stand eine halbe Stunde vor drei Regalen und wälzte in meinem Kopf die Frage, wovon sich die Koreaner ernähren. In einem Regal lagen nur Kekse. Im zweiten Regal nur Cracker und Chips. Im dritten standen Konservenbüchsen und massenweise Instantnudeln. In den Kühlschränken sah ich Wasser, Cola und Saft. Ganz überraschend gab es auch Milch. Dazwischen schlummerte ein trauriger Apfel in seinem Kälteschlaf.

Dementsprechend einseitig war meine Ernährung in der ersten Woche. Also ins Restaurant. Wenn man Glück hat, bekommt man eine Speisekarte mit Fotos. Da kann man erstmal sehen, was es so gibt und der Bedienung auch gleich zeigen, was man gern haben möchte. Ich weiß nicht, wieviel ich in der ersten Woche hier abgenommen habe, aber ich merke, daß meine Hose (trotz Gürtels) rutscht.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma habe ich jetzt entdeckt und der heißt Homeplus. Es handelt sich um eine amerikanische Supermarktkette mit vielen Importwaren aus Europa (Cornflakes! Honig! Butter! Sixpack "Krombacher" für umgerechnet 12 Euro!). Natürlich sind die Preise zum Teil unverschämt hoch, aber man weiß wieder, was man sich zu essen kaufen kann. Die Ratlosigkeit hat ein Ende. Ein Nachteil ist, daß dieser Markt nicht in der Nähe meines Quartiers liegt und die schweren Einkäufe dann mit dem Taxi nach Hause transportiert werden müssen. Das hat dann allerdings angesichts günstiger Beförderungspreise schon wieder Stil.

Konsequenterweise sollte man den Konsum von "Westwaren" hier jedoch ganz aufgeben, um vollständig in die koreanische Gastronomie einzutauchen. Zwar behaupten viele, daß die koreanische Küche nicht besonders exotisch sei, andererseits gibt es eine Unmenge an Restaurants mit internationaler Küche, so daß man genug kulinarische Abwechslung hat.

Lange Seufzer

Die Mühen mit der richtigen Aussprache der Namen. Das Gefühl, daß sich die Rollen gleich zu Beginn des Unterrichts vertauschen. Ich höre die koreanischen Namen dreimal, bilde mir dreimal ein, sie ganz genauso nachzusprechen. Also nochmal... Statt Gelächter, höre ich lange ungnädige Seufzer von den Studenten. Die nahende Ohnmacht, sich trotz aller Anstrengungen, diese Namen nicht merken zu können.

Das wird schon mit der Zeit, sagen die Kollegen. Und was, wenn nicht? Soll ich den Studenten Namen geben, die ich selbst aussprechen kann? Von den englischsprachigen Kollegen, die vor den gleichen Schwierigkeiten stehen, habe ich von solchen Maßnahmen gehört.

6.3.06

Popper

Müslüm Gürsüs, du fehlst mir. Hier im Land des Lächelns und des ewigen Wohlgefallens, der Bonbonfarben und des sanften Klangs eines Popsongs würde es auch dir gefallen. Und du hättest die treuesten Fans der Welt, wenn sie hier türkisch verstehen würden.

Die Koreaner singen gern, wurde einer meiner Professoren gleich im ersten Gespräch nicht müde zu betonen, nachdem er von meinen Erlebnissen im Norebang (Karaoke-Stüberl) gehört hatte und - fügte er mit wichtiger Miene an, aus der jedes Lächeln verschwunden war - die Koreaner singen gut. Sollen sie doch, dachte ich und erlebte am Freitag dann zu meiner großen Freude den "cheering day" (siehe "Zujubeling").

Nun ist es verhältnismäßig leicht, an einem Ort gern und gut zu singen, der voraussetzt, daß man gern und gut singt. Das Fernsehen macht es vor. Auf "Channel V" laufen fast rund um die Uhr die schmusi-schmusigsten Clips, die es seit Menschengedenken auf unserem schönen Planeten gibt. Balladen, die auch dem hartgesottensten Trucker die Tränen in die Augen treiben. Popsongs, die auch dem letzten Stiesel klarmachen, daß nur die Liebe zählt. Was noch? Balladen und Popsongs, soweit die Ohrmuschel reicht. Was noch? Das muß doch wohl reichen!

Die Bebilderung dieser Clips unterliegt ähnlich kreativen Gestaltungsmitteln wie bei US-amerikanischen Hiphop-Videos. Sind es bei den Ami-Rappern Kackbeutelhosen (danke, Mutti), schwere Goldkettchen vorne gern auch mit großem Stern, knappstbekleideten Damen und weiße oder rote Sportwagen, so handelt es sich bei den einheimischen Poppern um gutgekleidete Jüngelchen mit glatten Gesichtern und Fönfrisuren, ihre Dämchen oft in helle Farben getaucht, lichtumflutet, strahlend. Ein Fest der Jugendlichkeit. Man meint mitunter, daß eine Wolke Parfüm aus dem Fernseher hervorduftet und glaubt dann, daß die Koreaner tatsächlich das Geruchsfernsehen erfunden haben. Mit Ästhetik wird nicht gegeizt, sondern gereizt. Dramaturgisch wird viel mit Zeitlupen hantiert, vor allem während des Blickkontakts zwischen den Geschlechtern. Wehende Gardinen. Vollgeschriebene Blätter, die langsam zu Boden sinken. Fotos voller Erinnerungen. Anrufe. Tränen. Lachen.

Wenn man "Kuschelrock" mag und die Musikauswahl von "Radio Paradiso" als angenehm empfindet, dann ist man hier gut aufgehoben. Punk-Musike, Täkk-No oder meinetwegen auch "Knorkator" wurden jedenfalls nicht in Korea erfunden. Sowas gibt es hier entweder nicht oder es ist mir noch nicht untergekommen. (Oder, aber das kommt jetzt aus der Propaganda-Abteilung der Korea Universität, sowas findet man nur an der Yonsei Universität.)

Wie müssen wir uns also eine Love-Parade in Seoul vorstellen, wie ein "Sex-Pistols"-Konzert in Busan?

Am besten gar nicht.

Wir erinnern uns

3.3.06

Zujubeling

Als ahnungsloser Europäer hat man es mit den Segnungen des akademischen Gebarens in Südkorea nicht immer leicht. Letzten Freitag kam nur eine einzige Studentin in einen regulären Kurs, obwohl ungefähr 20 weitere Namen auf der Teilnehmerliste standen. Der Grund für die Abwesenheit der anderen Studenten war der sogenannte "cheering day". Ich übersetz das mal locker aus der Hose mit "Zujubeling", für diejenigen, die ihr Englischwörterbuch im Keller vergraben haben.

"Zujubeling" ist die südkoreanische Art auszudrücken, wie sehr man seine Universität schätzt und wie stolz man ist, als kleines Rädchen im großen geistigen Getriebe von nun an mitmachen zu dürfen. Die "freshmen", die "Frischlinge" also, bilden eine Gruppe von 10-20 Studenten. Dann versammelt sich jede Gruppe um eine bunte Fahne, die mit netten patriotischen Sprüchen bemalt oder bestickt ist und zieht damit über den Campus. Den ganzen Tag ziehen sie so herum und all die jungen Gesichter strahlen eine Entdeckerfreude und eine Neugier aus, wie man sie seit Kolumbus' Zeiten nicht mehr gesehen hat. Es geht voran!

Zum Glück fällt der "cheering day" auf einen Freitag und zwar immer in der ersten Woche des neuen Studienjahrs. (Anders als in Deutschland beginnt für viele Erstsemester hierzulande nämlich schon im Frühjahr der lustigste Teil des Studentenlebens. Das ist besser als in Deutschland. Denn wer verliebt sich schon im tristen Herbst in die Stadt, in die Uni und in seine vielen neuen Kommilitoninen und Kommilitonen?) Die Wahl dieses speziellen Tages hat Vorteile: Wenn die Stimme vom vielen Singen, Kreischen und Schreien versagt, haben die Studenten am folgenden Wochenende genug Zeit, sich auszukurieren. Sie fehlen nicht wirklich in den Kursen, denn nach zwei Tagen ist alles vorbei. Und sie verbreiten eine Fröhlichkeit, die gut tut.

Schönster Moment auf meinem Nachhauseweg am Freitag dann dies: Weit über den Campus erschallt eine koreanische Version des Schlagers "Dshinghis Khan", gesungen aus hunderten Kehlen junger Menschen. Deutsches Liedgut, nie klangst du so fantastisch, wie an diesem Ende der Welt! Später, es ist kurz vor 18 Uhr, stehe ich vor dem großen Sportplatz, wo die Erstsemester in großen Kreisen an den Händen gefaßt tanzen und singen. Es gibt auch ein gelbes tanzendes Uni-Maskottchen, einen Tiger. Dazu rotbebluste junge Damen und Herren (ja, richtig gelesen, auch Männer - man hatte mich schon vorher gewarnt), die "Cheerleader", die mit ihren glitzernden Puscheln in den Händen eine Stadionrunde nach der anderen drehen. Seit dem Vormittag waren die neuen Fans der Korea Universität zu hören gewesen. Jetzt, am frühen Abend, ziehen sie langsam ab, dabei immer weiter singend, fahnenschwenkend, kichernd, lachend, durcheinander erzählend. So beginnt vielleicht eine Liebe, die ein Leben lang hält.

Derzeitiger Zustand

Von CARE-Paketen bitte ich abzusehen.

1.3.06

Blicke über den Campus

Trutzig, das Blau des Himmels abstützend, stehen sie da. Die Bollwerke der Korea University in Seoul. Eine Festung des Geistes, möchte man meinen. Tore und Türme. Burgzinnen an schräg gedeckten Dächern. Ein Gang durch das akademische Disneyland Südkoreas wird zu einer Zeitreise ins europäische Mittelalter. Doch halt! Hier ist nichts so alt, wie es zu sein scheint.
Gleich die erste Fragestellerin konnte mich nicht stutzig machen und schon gar nicht aus der Fassung bringen. Wie alt ich denn diese Mauern schätzen würde. Naja, so 20 bis 30 Jahre, gab ich zur Antwort. Mist, quetschte sie enttäuscht heraus.

Man sieht es nicht so sehr auf diesen Fotos, aber vor Ort sehr genau: Der Stein ist jung und frisch. Da ist kein Platz für Verwitterungen und der berühmte Zahn der Zeit nagt hier schon gar nicht. In einer Stadt, die jeden Tag neue Einkaufszentren gebiert, hat das Alte nur seinen Platz, wenn es auf einer Liste der "Treasures" (Schätze) steht und für schützenswert befunden wird.

So enstand aus dem Traditionsbewußtsein der Koreaner heraus der Wunsch, sich eine architektonische Größe zurechtzubasteln, die es historisch in dieser Form nie gegeben hat. Oxford und Cambridge sind altehrwürdige englische Universitätsstädte, die im Laufe der Jahrhunderte in ihrer Gestalt gewachsen sind. Eifrig wird zwar auch auf dem hiesigen Campus gebaut, aber es ist ein Kopieren westeuropäischer Traditionen. Was man selbst nicht hat, ist interessant. Mich erstaunt diese gedankenlose Übernahme fremder Architektur.

Alle Bilder vom Campus der Korea-Universität, Seoul. Nicht selbst aufgenommen. Quelle unbekannt.
Quelle: guckst du hier oder hier.

Kein Platz zum Tanzen

Die Koreaner singen gern und gut, erklärte Professor Kim während meines ersten Besuchs in seinem Büro. Bis zu ihm hatte es sich herumgesprochen, daß ich gleich an meinem ersten Abend zusammen mit Andrea und drei weiteren neuen Bekannten in ein Norebang ging. Ich weiß nicht genau, woher er unterrichtet worden war, aber der Flurfunk funktioniert anscheinend auch an dieser Uni ausgezeichnet.

Norebang (nore(hada)=singen und bang=Raum, Zimmer - also "Singzimmer" frei übersetzt) heißt die koreanische Form des geselligen Singens in einem kleinen Zimmerchen mit riesigem Bildschirm und Mikrofon. Die japanischen Erfinder nennen es Karaoke.

In dem Film "Lost in Translation", den ich nur wärmstens empfehlen kann, gibt es eine schöne Szene in einem japanischen Norebang. Ein stark angetrunkener Bill Murray singt mit den traurigsten Augen der Welt ein Lied und spätestens an dieser Stelle werden die inneren und äußeren Leiden dieses Mannes in ihrer ganzen Wucht spürbar.

Das Norebang, in dem ich war, lag in einem Keller. An einer Empfangstheke bezahlen die Gäste die Miete für eine Stunde und dürfen dann ein kleines Zimmer betreten. Bereits vom Flur aus sah man hinter Glastüren kleine Grüppchen von Koreanern ausgelassen singen. Erstaunt schüttelten wir zuerst den Kopf, aber das legte sich merkwürdigerweise sehr schnell. An den Längsseiten des Raumes standen zwei Polsterbänke. An der Frontseite flackerten uns Videos auf einem überdimensionalen Fernsher entgegen. Man sah einen Sänger und Tänzerinnen auf einer Bühne. Dann ein riesiges Publikum. Eine koreanische Rockband. Lichteffekte. Eine Sängerin. Die Videos, das sollte ich erst später bemerken, waren eher willkürlich den Liedern zugeordnet worden. So konnte es passieren, daß eine ruhige Ballade bildtechnisch mit wilden augenrollenden Heavy-Metall-Musikern unterlegt wurde. Mein persönlicher Favorit, bei dem Musik und Video absolut nicht zusammenpassten, war jedoch Frank Sinatras "My way". Dazu sah man bizarrerweise koreanische Rapper mit dem vollständig kopierten Ausstattungsarsenal eines amerikanischen HipHop-Videos (schwere Goldketten, rote Sportwagen, leichtbekleidete Mädels) herumturnen.

Nach einer kurzen Aufwärmphase - in der zu Beginn die einzig koreanisch sprechende Frau in unserer Runde eine koreanische Ballade sang - wollte jeder mal an eins der zwei Mikrofone. ABBA, Neil Diamond, Beatles, MC Hammer, U2, REM... Eine einstündige musikalische Reise durch 40 Jahre Rock- und Popgeschichte folgte. Die Ausgelassenheit eines Kindergeburtstages kombiniert mit den gesanglichen Qualitäten einer brüllenden Affenhorde, so in etwa hörte sich unser Auftritt an.

Ich kann schwer erklären, warum jeder von uns plötzlich diesen Drang zum Singen verspürte, wo wir doch eine Viertelstunde vorher kopfschüttelnd an den anderen Glastüren vorbeigegangen waren. Es hat nicht nur mit der Wirkungsweise des Alkohols zu tun. Es hat weder mit dem euphorischen Anfeuern und Beklatschen zu tun, der die Zuhörer befällt wie eine Krankheit, noch mit dem Heischen nach Anerkennung und Lob, der den Sänger für einen kurzen Moment in das gleißende Licht einer Showbühne taucht. Es hat auch nicht damit zu tun, daß man am Ende des Liedes eine Punktbewertung erhält und damit auch dem internen Gruppenwettstreit eine gewisse Bedeutung zukommt (was allerdings kaum jemand öffentlich zugeben würde). Es ist vielleicht nur eine bessere Möglichkeit die Nächte in einer Stadt gemeinsam zu verbringen, in der der Platz zum Tanzen knapp ist. Diskos oder Clubs habe ich bislang noch nicht gesehen, dafür jede Menge Norebangs.