30.5.06

T.N.B.B.B.

Mit hochrotem japsenden Gesicht tauche ich eben gerade unter meinem Schreibtisch auf und erklimme wieder meinen Stuhl. In meinem Anfängerkurs hatte ich als Hausaufgabe aufgegeben, daß die Studenten kurz (!) über ihr Wochenende berichten. Sie sollten den Perfekt dabei verwenden mit den richtigen Partizipialformen und den Hilfsverben "haben" oder "sein". Auch den Textumfang von fünf Sätzen gab ich vor und den Einsendeschluß per E-Mail bis Dienstagabend.

Womit ich nicht gerechnet hatte, waren Studentinnen, die mir am Samstagabend bereits ihre Texte schickten (da war das Wochenende noch gar nicht vorbei, sondern hatte gerade erst angefangen - zumindest für mich) und mit einem hobbyschriftstellernden Studenten, der bis ins kleinste Detail beschreibt, was er den ganzen Tag so macht. Naturalismus at its best.

Bei solchen Sachen stehe ich immer vor der moralischen Frage: Darf ich das überhaupt veröffentlichen? Liefere ich den armen Studenten nicht dem Gespött der Weltöffentlichkeit aus? Ist das gestattet? Schwierig. Andererseits will ich damit keine Leute vorführen und lächerlich machen, sondern zeigen, mit welchem Feuereifer und welcher Leidenschaft hier gelernt und studiert wird. Da könnte sich manch anderer Student eine Scheibe von abschneiden.

Und hiiiiiiiiieeeeeeeer, Seoulpower proudly presents, The Next Big Blogger Boy (T.N.B.B.B.)... (Vorhang auf!)

"Mein Wochenende" von X

Samstag:
Morgen 8 Uhr bin ich aufgestanden und zur Uni gegangen.
Um 10 Uhr habe ich Deutsch mit Freunden zusammen gearbeitet.
Um 12 Uhr habe ich zu Mittag gegessen.
Zwischen 13 und 14 Uhr habe ich Englisch studiert.
Um 14 Uhr habe ich Teakkyun(traditionelles Taekwondo) mit Senioren gemacht.
Gegen 5 Uhr habe ich das Training beendet.
Ich habe ein Buch gelesen, dann bin ich nach Hause gegangen,
eine Unterricht zu machen.
Von 21 Uhr bis 23 Uhr habe ich einem Sch?er Englisch gelernt.
Dann habe ich geduscht und im Internet gesurft.
Nach Mitternacht bin ich eingeschlafen.

Sonntag:
Morgen 10 Uhr habe ich den Tag angefangen.
Denn mein Sch?er hat mich angerufen, der Termin der Unterricht zu
entscheiden.
Ich habe dem Sch?er geantwortet und habe ihm gefragt "Hast du schon Wort
?ungen gearbeitet?" Da hat er gesagt, "Ja, Ich habe gearbeitet. Aber ich
wollte es aufgeh?t haben."
Nach dem Gespr?h habe ich ein Glas Milch aufgemacht und getrunken.
Dann habe ich meinen Tisch aufger?mt.
Um 11 Uhr bin ich noch eingeschlafen.
Am Mittag bin ich wieder aufgestanden.
Dann habe ich meinem Hund Futter ausgegeben, weil er hungrig ausgesehen
hat.
Um 13 Uhr habe ich gebadet.
Nach dem Bad hat meine Nichte ein Spielzeug wollen.
Deshalb habe ich eines aus dem Holz gebaut. Da hat sie beantwortet, "Ich
liebe Onkel!"
Das hat mir eine Freude bedeutet. Ich habe einen Erfolg bekommen.
Dann habe ich Aufgaben beschrieben.
Und ich habe eine Musik CD im Internet bestellt.
Um 15 Uhr habe ich ins Restaurant besucht.
Ich habe einen St?k des K?ekuchen gegessen.
Und ich habe eine Tasse Kaffee getrunken, weil ich einen Freund um 16 Uhr
getroffen haben wollte.
Also ich habe dort eine Stunde geblieben.
Ich habe ihn f? eine Aufgabe gebraucht.
Viertel nach 16 Uhr ist er angekommen.
Er hat aber seine Freundin mitgebracht.
Seitdem haben wir ?er die Aufgabe bis zu Abendessen diskutiert.
Gegen 18 Uhr haben wir getrennt bezahlt und verabschiedet.

Obwohl ich ueber mein Wochenende mehr gesagt haben wollte, habe ich kein
Zeit gehabt.
Dann ist das alles.
Bis Mitwoch.
Viele Gruesse.
Ich bin so froh, solche Studenten zu haben. Die, die durch die dunklen Wälder steigen und die steinigen Höhen der deutschen Sprache erklimmen. Kämpfen. Und siegen.

Allerdings gibt mir der Satz am Ende des Textes zu denken, daß dieser Student mehr sagen wollte, aber keine Zeit hatte. Ich denke mit Schrecken an die langen Sommerferien... Wenn die Studenten vielleicht etwas mehr Zeit haben... Zeit zum Schreiben... Was dann? Was kommt als nächstes?

Keks der Woche (22. Kalenderwoche)

Sollte irgendjemand irgendwann vor dem Problem stehen, möglichst viele positive Adjektive zu sammeln, dann möchte ich ihm folgende kleine Liste mit 25 Wörtern als Starthilfe zur Hand geben:
wunderbar, fantastisch, schön, aufregend, großartig, fein, umwerfend, genial, atemberaubend, köstlich, lecker, einzigartig, wundervoll, herrlich, grandios, famos, unwiderstehlich, spitzenmäßig, außergewöhnlich, hervorragend, exzellent, fantastisch, bemerkenswert, ausgezeichnet, extravagant
Das Schöne daran ist, daß jedes dieser Wörter auf den "Mürren" zutrifft. Dieser Keks hat eine besonders angenehme Süße. Auf der Oberseite befindet sich eine fein gesetzte Spur von Schokolade. Die Füllung ist nicht zu dünn und nicht zu dick. Man schmeckt eine Kakao-Note durch, die sich vor allem beim Verzehr mit Vollmilch verstärkt. Außerdem besitzt der "Mürren" genau die richtige Konsistenz, um weder an den Zähnen kleben zu bleiben, noch allzu labrig einfach nach hinten in den Rachen durchzurutschen. Man hat ein bißchen was zu beißen.


Trotz einzelverpackten Stücken in Hochglanzfolie vergebe ich angesichts solch bombastischer Gaumenfreuden die hochverdiente Bestnote: 5 von 5 Krümeln. Und damit genug der Lobhudelei.

28.5.06

Pietah

Das ist die Geschichte von Pietah, von einem der auszog, um etwas zu suchen, von dem er nicht genau weiß, ob es das wirklich gibt, wonach er sucht.

Ich traf ihn, besser gesagt: er traf mich, in einem Straßenrestaurant. Es war ein warmer Frühlingsabend im April gewesen. Meine erste Wanderung mit zwei Kollegen auf den Dobongsan am Rande Seouls lag gerade hinter mir und wir wollten noch eine Kleinigkeit essen und trinken. Wir drei waren ein bisschen müde und erschöpft und langsam ging uns der Gesprächsstoff aus. In Gedanken war ich schon auf dem Nachhauseweg, als plötzlich ein nicht mehr ganz junger Mann mit europäischen Gesichtszügen an unseren Tisch trat und mich nach dem Woher und Wohin fragte und im Grunde eigentlich abwartete, bis wir ihn an unseren Tisch bitten würden. Was auch geschah.

Bis heute bin ich nicht sicher, ob das ein Fehler oder eine gute Tat gewesen ist, dass „Pietah from England“, wie er sich selbst mit kräftiger Stimme vorstellte, bei uns Platz nahm. Meine Kollegen forderten ihn gleich auf, beim Essen ordentlich zuzugreifen. Aus einem unerfindlichen Grund dachte Pietah nun, dass er uns sozusagen als Gegenleistung unterhalten müsse und redete ohne Punkt und Komma. Gleich am Anfang meinte er, dass er kein Sozialleben habe, fast immer allein sei und fragte, wie ich es geschafft hätte, mit zwei Koreanern wandern zu gehen. Ich zuckte mit den Schultern, weil ich darauf beim besten Willen keine Antwort geben konnte. Es hatte sich eben so ergeben.

Dann erzählte er von seiner Arbeit in Korea (er unterrichtet Englisch an einer Schule) und von seinem vorigen Aufenthalt in Japan. Er machte sehr abwertende Äußerungen über die Japaner, wohl um sich bei den anwesenden Koreanern beliebt zu machen. Die Bedienung schaute mittlerweile etwas verärgert drein, denn unser Gast sprach die ganze Zeit über sehr laut und geriet außerdem leicht ins Stottern, sobald er schneller sprechen wollte. Er vergraulte die Kundschaft. Zwar gingen viele Leute am Straßenrestaurant vorbei, aber keiner setzte sich an einen der Tische. Kein Wunder, dass die Bedienung immer unfreundlicher wurde.

Pietah sprach die ganze Zeit auf Englisch. Ich hatte damit kein Problem. Meine koreanischen Kollegen hingegen sind Germanisten und ihr Englisch ist nur rudimentär vorhanden, so dass sie einige Mühe hatten, alles zu verstehen und ich einige Male beim Übersetzen aushelfen musste. Irgendwann fragte ein Kollege ganz unvermittelt, warum wir denn auf Englisch reden würden und nicht auf Deutsch. Ich war total baff. Natürlich hatte er Recht mit seiner Frage, denn Pietah war zwar ein Gast an unserem Tisch, aber er verhielt sich wie ein Gastgeber. Er bestellte auch ganz ungeniert weiter Makkoli und andere Gerichte, denn er wurde nicht müde zu betonen, dass er heute noch gar nicht richtig getrunken und gegessen hätte. Außerdem hätte er auch heute gar nicht so viel Geld dabei (was sich als Lüge herausstellen sollte). Die Koreaner waren spätestens zu diesem Zeitpunkt mehr als verärgert und begannen sich zu rächen. Ein Kollege sprach von nun an nur noch auf Deutsch und wenn Pietah ihn etwas fragte, dann musste ich übersetzen. Völlig absurd, aber ich war zu höflich, um Nein zu sagen. Der andere Kollege fing an, etwas über die koreanischen Frauen zu erzählen, um den Engländer aus der Reserve zu locken. Und tatsächlich dachte der, dass jetzt seine große Stunde gekommen sei und er mit seinen Eroberungen prahlen müsse. Laut seiner eigenen Aussage hatte er in Japan innerhalb von sieben Jahren mit 20 Frauen geschlafen.

Anschließend wechselte Pietah das Thema und dozierte, warum die koreanische und auch die japanische Sprache irgendwann verschwinden würden (die Koreaner wechselten stumm ein paar bedeutungsvolle Blicke, blieben aber erstaunlich ruhig), warum die englische Sprache weltweit so erfolgreich sei und warum England es immer schaffen würde, oben zu bleiben. Ich hatte keine Lust mehr, diesem oberflächlichen nationalistischen Geschwafel zuzuhören. Da saß augenscheinlich jemand vor mir, der das Ende der Kolonialzeit erfolgreich verdrängt und das „Rule Britannia“ zu seinem Lebensmotto erklärt hatte.

Als wir gehen wollten, fragte einer meiner Kollegen Pietah ganz scheinheilig, ob ihm das Essen geschmeckt hätte. Dann bedankte er sich bei unserem Gast und fragte weiter, wer denn nun bezahlen würde. Pietah, der zuviel Alkohol getrunken hatte, schluckte kurz, würdigte den Koreaner keines Blickes und zog langsam seine Geldbörse hervor. Die beiden Koreaner taten so, als würden sie Pietah beschwichtigen und ihrerseits bezahlen wollen. Aber Pietah rief schon nach der Bedienung, zählte langsam die Geldscheine in ihre Hand und tat ganz generös.

Natürlich war die ganze Szene ein großes Schauspiel, eine Intrige sondergleichen, bei der die Koreaner den Engländer richtig vorgeführt hatten. Sie merkten, dass sie damit zu weit gegangen waren und luden Pietah zur 2. Runde ein. In Korea ist nach dem Essen nicht gleich Schluss, sondern man wechselt das Lokal, um dort weiter zu trinken. Pietah war einverstanden, machte aber gleich lautstark deutlich, dass er noch eine große Flasche Makkoli kaufen müsse, damit er den morgigen Unterrichtstag überstehen würde. Er tat mir plötzlich irgendwie sehr leid, dieser einsame englische Steppenwolf, der so gern Freunde hätte, aber mit seinem Verhalten die Leute auf die dümmste Art und Weise brüskiert, ohne es selbst zu bemerken.

Den Koreanern gelang es, Pietah vom Alkoholkauf abzuhalten. Wir setzten uns in ein anderes Lokal. Es war schrecklich, ansehen zu müssen, wie dem Engländer immer mehr die Gesichtszüge entglitten. Der Alkohol ließ ihn noch lauter werden und noch unkontrollierter stottern. Er wollte uns wieder sehen und bat um unsere E-Mail-Adressen bzw. Telefonnummern. Einer meiner Kollege tat ihm den Gefallen, krakelte etwas Unleserliches in Pietahs Notizbuch und verabschiedete sich schnell von uns. Ich täuschte einen Handy-Anruf vor und machte ebenfalls Anstalten zu gehen. Unsere Wege trennten sich. Zusammen mit meinem Kollegen ging ich zum Bus. Pietah wollte zur U-Bahn. Ich wünschte ihm ganz aufrichtig viel Glück und alles Gute.

Wir gingen. Er stand da und blickte uns nach. Als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich ihn zurück in das Lokal wanken.

27.5.06

Zufall und Routine

Kein Tag ist hier wie der andere. Es gibt keine Routine, also sitze ich - bildlich gesprochen - an einem riesigen Roulettetisch und weiß nicht, welche Zahl als nächstes kommt. Ständig ist etwas los. Man trifft auf Leute, die man sonst nie in seinem Leben getroffen hätte. Und Kollege Zufall mischt sich ab und zu ein und gibt den Dingen eine unerwartete Wendung.

So geschehen, als ich Joseph in einem Koreanisch-Kurs sitzen sah, den ich wenige Tage auf einem Foto in einem Blog gesehen hatte. Natürlich sprach ich ihn darauf an und er lud mich ein, einfach mitzukommen und den verantwortlichen Blogger (auch ein Stefan) kennenzulernen. Joseph spricht einen starken texanischen Akzent, der vollste Konzentration beim Zuhören erfordert. Ein netter Typ, der unvermittelt Sätze heraushaut, über die man lacht, weil man sie nicht erwartet hat. Wir fuhren in die - ebenfalls in diesem Blogpost erwähnte Kneipe - eine schaurig-schöne Katakombe mit lauter Rockmemorabilia, die man in solcher Gestalt vielleicht in Berlin-Friedrichshain erwartet hätte, aber nicht im schicken Seoul, wo die Inneneinrichtung oft teurer aussieht als das Gebäude von außen. Stefan war jedenfalls derjenige, der sozusagen mit seiner Kamera den Auslöser betätigte und damit die ganze Sache ins Rollen brachte. Ein sehr angenehmer Mensch, der an diesem Abend viel über Land und Leute erzählen konnte.

Überhaupt finde ich es bemerkenswert, wie viele Leute man allein über das Bloggen kennenlernt. Obwohl ich im Vorfeld wenig Werbung für mein Blog gemacht habe und anfangs nur der engere Freundes- und Familienkreis davon wußte, spricht sich "Seoulpower" langsam aber sicher herum. Ich sehe es an den E-Mails und Kommentaren. Das motiviert mich, weiterzumachen.

Sich von den Zufällen des Lebens treiben zu lassen heißt aber auch, mit den täglichen Überraschungen fertig zu werden. Da nichts sicher ist, ist auch nichts von Dauer. Alles, was erlebt wird, hat eine gewisse Beliebigkeit. Man erreicht sehr schnell einen Zustand geistiger Ruhelosigkeit, wenn man sich längere Zeit im Ausland aufhält. Die Tage verlangen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, viel mehr als in Deutschland, weil man sich in vielen Situationen zurechtfinden muß, die ohne die bestehende Sprachbarriere einfacher zu bewältigen wären. Die Zeit zum Ordnen des Erlebten fehlt daher oft, weil man einen großen Teil mit der Orientierung beschäftigt ist. Es fällt mir teilweise schwer, mich an die Ereignisse der letzten oder vorletzten Woche zu erinnern, weil die Masse an Eindrücken schwer zu bewältigen ist. Nun bin ich zwar erst seit drei Monaten hier, aber diese relativ kurze Zeitspanne erscheint mir wie eine Ewigkeit.

Wie gut, daß es so etwas wie Blogs gibt, um das eigene Leben (wenigstens in winzigen Ausschnitten) aufzubewahren. Früher sagte man dazu Tagebuch.

Ach so!

Schon vor einiger Zeit hatte ich gehört, daß es in Seoul eine Bäckerei geben soll, die auch richtiges Mischbrot im Angebot hat. Denn was man normalerweise in den Supermarktregalen vorfindet, hat nicht viel mit Brot zu tun, sondern bildet eher die leichtverdauliche Grundlage für den (ebenfalls schwer erhältlichen) Käse oder die Wurst. Das Essen von kalten Sandwiches sollte man sich eigentlich sowieso abgewöhnen, denn in der koreanischen Küche wird morgens, mittags und abends warm gegessen.

In Hangangjin (ungefähr 10 Minuten Fußweg von der gleichnamigen U-Bahn Station in Richtung Dankook University laufen) beginnt für einen brotverwöhnten Mitteleuropäer das Paradies und heißt schlicht: "Ach so!" Der Mann hinter der Theke spricht tatsächlich deutsch, hat auch einige Jahre in Deutschland gelebt und das gute Brot nach Korea gebracht. Eine Pioniertat - und allein dafür sollte es schon Beifall geben.

Doch es kommt noch besser. Wer Kaffee trinken möchte, kann das auch gleich dort tun. Es gibt eine kleine Auswahl an verschiedensten Kuchen und Torten, dazu ungefähr 10 Brötchensorten und 2-3 Brotsorten. Die Laugenbrezeln hätte ich beinahe vergessen. Im Zeitschriftenständer liegen ein paar ältere SPIEGEL- und STERN-Ausgaben aus. Man fühlt sich ein bißchen wie zu Hause. Das Beste aber ist die Kundenkarte, bei der man als Stammkunde 5% Rabatt auf seine Einkäufe bekommt.

Südkorea ist Weltmeister

... im Plastik-Pokal-Rumschleppen.

Standardsatz eines Kollegen: "Immer passiert etwas in Korea. Immer." Und lacht, als hätte er einen fantastischen Witz erzählt. Ich frage dann: "Also auch, wenn eigentlich nichts passiert?" - Antwort: "Jaja, immer. Immer." Besonders deswegen mag ich ihn. Natürlich passiert auch anderswo jede Menge. Man könnte sogar sagen, daß anderswo vielleicht sogar mehr passiert. Aber es passiert eben anderswo nicht das, was in Korea passiert. Also was war passiert?

Ich steige gestern am frühen Abend an der Station "City Hall" aus der U-Bahn und nehme aus Versehen einen falschen Ausgang. Umringt von Fanartikel-Verkäufern (rote T-Shirts, kleine blinkende Teufelshörnchen zum Aufsetzen, Leuchtarmbänder) ahne ich, daß irgendwas mit Sport auf dem Programm steht. Auf dem zentralen Platz ist eine riesige Bühne aufgebaut, von der Musik herüberdröhnt. Auf drei Großleinwänden flackern Bilder. Am Himmel hängen Ballons und Fahnen.

Dann sehe ich eine Menschenschlange. [ossi modus = an] Bananen? Gibt's hier Bananen??? [ossi modus = aus] Menschen in Korea, die wirklich anstehen. Das ist ungefähr so selten anzutreffen wie einen Koreaner ohne Handy. Oder einen Koreaner, der öffentlich eingesteht, kein Handy zu besitzen. Ein paar Schritte weiter entfernt ist ein langer Tisch aufgebaut, auf dem sich Pappkartons stapeln. Darin: Weltmeister-Pokale aus Plastik, goldglänzend. Aha, Fußball. Es scheint sich um einen Werbe-Gag von irgendeiner Firma zu handeln, denn die Dinger werden an die geduldig Wartenden verschenkt. Selbst erwachsene Frauen und Männer klemmen sich zwei drei vier Stück unter die Arme und hasten weiter. Ich will mit meiner guten Analog-Kamera ein Foto davon machen, stelle fest, daß die Batterien leer sind und muß auf meine poplige Digi-Cam ausweichen. Ich schieße aus der Hüfte schnell ein paar Bilder, ziemlich wacklig und in bester Geheimagenten-Manier. Dementsprechend ist leider die Qualität. Jetzt sehe ich erst, daß ich nur einen kleinen Jungen einigermaßen getroffen habe.
Das Spiel Südkorea gegen Bosnien-Herzegowina war übrigens fantastisch und endete 2:0. Wenn das kein gutes Omen für das erste Spiel gegen Togo bei der Fußball-WM ist.

Keks der Woche (21. Kalenderwoche)

Die Angestellten des Minimarktes, in dem ich regelmäßig meine Kekspackungen kaufe, kennen mich mittlerweile und werfen sich vielsagende Blicke zu, wenn ich hinter dem Regal für durchschnittliche 5 Minuten verschwinde.

Diesmal tauchte ich etwas eher wieder auf, denn ich griff einfach wahllos ins Regal - und erwischte die allerletzte Packung des "Walefee".

Oh, prima, Waldfee, dachte ich beim ersten flüchtigen Lesen und fand das sei ein sehr schöner Name für eine Kekssorte. Die Besonderheit liegt eindeutig auf dem Eiffelturm, der auf der Packung wie auch auf dem oblatenartigen Rund abgebildet ist. Hier wird vom Hersteller allerdings ein Gefühl von Lifestyle suggeriert, das dieses Kleingebäck geschmacklich leider nicht einlösen kann. Paris riecht und schmeckt nach großer weiter Welt, nach cuisine, gateau und biscuit. Dieser Keks besitzt nichts davon.

Der Teig ist schwach geraten, die Füllung schmeckt nach einem flüchtigen Hauch Erdbeere. Sicher bin ich mir dabei allerdings nicht gewesen. Es hätte ebenso gut Kirsche, Himbeere oder Orange sein können. Die einzeln verpackten Folien habe ich nur mit einer Schere aufbekommen und ich frage mich, was die Leute machen, die unterwegs diesen Keks dabei, aber kein Schneidwerkzeug zur Hand haben. Ein sehr mittelprächtiges Exemplar und dafür gibt es nur 3 Krümel(-Punkte) von 5 möglichen.

26.5.06

Aus aktuellem Anlaß

Dry your eyes mate
I know it's hard to take but her mind has been made up
There's plenty more fish in the sea

- Mike Skinner (The Streets)

23.5.06

Spiel gut, Ergebnis schwach

Südkoreas Fußballnationalmannschaft wird es bei dieser Weltmeisterschaft schwer haben. Ich prophezeie schon jetzt, daß dieses Team vielleicht noch die Vorrunde überstehen wird (Gruppe H: Frankreich, Schweiz, Südkorea, Togo), aber im Achtelfinale ausscheiden wird.

Im heutigen Testspiel gegen den Senegal mühten sich die Südkoreaner redlich, aber erfolglos und kamen über ein 1:1 nicht hinaus. Schade, denn ich hätte den "roten Teufeln" den Sieg gegönnt. Denn Chancen hatten sie mehr als genug. Laufstark, angriffslustig, torgefährlich - das sind alles Attribute, die zu dieser Mannschaft passen. Was in den Reihen der Gastgeber fehlte, war ein "Knipser". Einer, der auch dann noch einen kühlen Kopf im dichtgedrängten Strafraum behält und die entscheidende Lücke sieht, wenn alles um ihn herum im Chaos versinkt. Einer, der in Standardsituationen leidenschaftslos den tausendmal trainierten Bewegungsablauf durchzieht. Einer, der plötzlich von irgendwoher unvermutet auftaucht und den Ball im Netz versenkt.

So war es auch kein Wunder, daß der koreanische Sturm oft mit langen Distanzschüssen die an sich etwas wacklige senegalesische Abwehr überraschen wollte und eher zufällig aus solch einer Situation heraus das 1:0 fiel. Das war gegen Ende der zweiten Halbzeit. Die Gäste hielten gut mit (erzähle mir noch einer, daß die Afrikaner keine 90 Minuten konditionsmäßig auf dem Spielfeld durchhalten würden) und schafften ein paar Minuten später den Ausgleich.

Im Kurs am Morgen hatten die männlichen Studenten noch von einem 10:0 geträumt. Ganz ernsthaft. Außerdem wäre ja sowieso nur die B-Mannschaft aus dem Senegal angereist, sagten sie, worüber die koreanische Seite etwas verärgert sei und es wäre ein leichtes Vorbereitungsspiel - nun ja, Größenwahn hat noch niemandem geholfen.

Trotzdem drücke ich den Südkoreanern für die WM in Deutschland die Daumen. Sie spielen sehr gut nach vorn, laufen unheimlich viel (die deutschen Spieler stehen ja immer etwas gelangweilt auf dem Platz herum und schieben sich den Ball vor die Füße, während sie dabei in der Nase bohren) und schießen wie die Wahnsinnigen aufs Tor. Leider zu oft daran vorbei.

Ich roque, du roquest, Asia roquet

Von wegen die Asiaten besäßen keine Rocker. Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil. Neulich auf dem Campus, vor einer halben Woche war hier ein Studenten-Festival, stand eine ziemlich gute Studentenband auf der Bühne. Besetzung á là "Interstella 5555" (Daft Punk) mit Sänger/Gitarrist, Schlagzeuger, Keyboarder und Bassistin. (Bei der Bassistin wackelte ich bedenklich mit dem Kopf und murmelte mehr zu mir als zu meiner Begleitung: "Wo will denn der große Bass mit dem kleinen Mädchen hin?") Sie spielten recht ordentliche Coverversionen, z. B. dieses Stück "California", was ich seitdem immer vor mich hin singe und dabei angestrengt nachdenke, von wem das Original stammt.

Außerdem gibt es die wirklich großartige "Asian Kung Fu Generation", die vorzüglichsten Japan-Rock singen und spielen. Sie haben auch eine Webseite. Und sie spielen auf einem Festival im Sommer. Wer Zeit (und Geld) hat, fliegt da bitte mal hin.

Nachtrag: "California" von Lenny Kravitz.

Lehrertag

Vielleicht erinnert sich der ein oder andere mitlesende Ossi noch an den Lehrertag, den es zu DDR-Zeiten gab und an dem die Lehrerinnen immer mit einem glückseligen Lächeln und einem Eimer voller Blumen nach Hause gingen, weil die Schüler an sie gedacht hatten, während die Lehrer mit leeren Händen und etwas verkniffenem Gesicht nach Hause gingen, weil sie nichts bekommen hatten.

Solch einen Ehrentag gibt es auch hier - immer noch. Obwohl dieser Tag nun schon über eine Woche zurückliegt (er war am 23.05.2006), möchte ich einen kleinen Bericht nachreichen, denn die Ereignisse waren zu prägend, als daß ich darüber hinwegsehen könnte. Da ich an diesem Tag zwei Kurse hatte, hatte ich auch zwei grundsätzlich verschiedene Erlebnisse.

Kurs 1-1: Eine etwas schüchterne, aber umso liebenswürdigere Anfängergruppe. Als ich den Raum betrat, stand auf meinem Tisch ein Fläschchen Ananassaft. Auf meine Nachfrage (Von wem? Warum? Wieso?) erhielt ich die kleinlaute Antwort: "Teacher's Day". Als ich artig "Dankeschön" sagte, ging das Getuschel los und überall auf den Gesichtern sah ich ein breites Grinsen. Keine weiteren Vorkommnisse.

Kurs 3-1: Die Gruppe mit dem höchsten Humor-Faktor. Ich fürchte schon jetzt, da sich das Sommersemester allmählich dem Ende nähert, daß ich so eine lustige Truppe nicht mehr so schnell zusammenbekommen werde. Hier wird über den kleinsten Witz, den ich im Unterricht reiße, lang und ausgiebig gelacht. Teilweise geht das soweit, daß ich manchmal denke: 'Also wenn du dieses und jenes sagst, verlierst du wieder eine halbe Stunde Unterrichtszeit, weil die halbe Klasse vor Lachen unterm Tisch liegt. Sag's lieber nicht!' Humorzensur mal andersrum: Man läßt die Witze sein, aus Angst, daß ein Student den Unterrichtsraum nicht lebend verläßt. Dabei komm ich mir selber nicht mal komisch vor. Ich klopf halt so Sprüche und schon geht das Gegacker los...

Als ich den Raum betreten wollte, wurde von innen die Tür zugehalten und "Moment bitte" gerufen. Da ich durch den Anfängerkurs bereits wußte, daß "Teacher's Day" ist, harrte ich brav der Dinge aus, die da kommen würden. Dann öffnete sich die Tür. Der Raum war mit schwarzen Vorhängen abgedunkelt worden. Auf meinem Tisch stand eine Torte mit Kerzen. Eine Torte mit Kerzen! Eine Torte mit Kerzen!!! Und Tomaten!!!!! Mich traf der Schlag.

Als ich wieder zu mir kam, fingen die Studenten an zu singen. Zu singen! Wat nu? Blöd rumstehen? Was macht man als steifer Deutscher angesichts von soviel Heiter- und Herzlichkeit? Zum Glück reichte mir jemand ein Papphütchen, was ich ohne großes Nachdenken automatisch auf den Kopf setzte und - knipsknipsknips - wurden gleich mal ein paar Fotos gemacht. (Diese Bilder zeige ich euch nicht, die anderen seht ihr unten.)

Damit war die Stunde gelaufen. Als ich ein bißchen verlegen vor der Torte saß und die Kerzen auspustete, sagte ich in einem Moment der Schwäche wohl so etwas wie: "Na, wir machen heute wohl besser keinen Unterricht, hm?..." Im einsetzenden Freudengeheul (ich lüge nicht!) mußte ich meine Ohren zu halten, um nicht auf der Stelle taub zu werden.

Es wurde dann noch eine sehr lustige Stunde. Inklusive Foto-Session.

Deutschlehrer, vollkommen aus dem Häuschen.


Rasselbande, vollkommen außer Kontrolle.

18.5.06

Ich habe fast geweint -

und nach dem Angucken dieses Videos wird man Trios NDW-Hit "Da da da" nie wieder ohne Hintergedanken anhören können

- vor Lachen.

(Für das Abspielen des Videos wird eine schnelle Internetverbindung benötigt.)

17.5.06

Keks der Woche (20. Kalenderwoche)

Mir ist aufgefallen, daß ich bislang fast ausschließlich nur gelbe Keksverpackungen vorgestellt habe, so daß beim Leser leicht der Eindruck entstanden sein könnte, es gäbe nur diese eine Farbe. Dem ist nicht so wie folgendes Beispiel eindeutig beweist:


Der "Chic Choc" ist wieder einmal ein Keks mit Schokostückchen. Sehr ausgewogen im Geschmack, klebt er weder am Gaumen und in den Zähnen noch krümelt er allzu stark. Die Schokolade schmeckt nicht billig-süß, sondern schmilzt mit einer angenehmen milden Kühle im Mund. Keine Ahnung, wie die Koreaner das produktionstechnisch machen. Wahrscheinlich sind sie hier auch in der Nanotechnik schon so weit, daß sie winzige Kühlaggregate in den Teig einbauen können. Es ist jedenfalls die Art von Keks, die man auch bei heißen Temperaturen gern essen mag.

Wenn nur nicht wieder die einzeln verpackten Kekse wären, hätte diese Sorte die höchste Wertung erreicht. So nur leider: 4 von 5 Krümeln.

Da lacht der Anglo-Germanist, Folge 30

Frage: Warum kürzt der englischsprachige Teil der Menschheit das Wort "Fußballweltmeisterschaft" nicht ab?

Antwort: Weil sie schon beim Gedanken daran die Hosen voll haben.

(Vorauseilender Kommentar von mir, bevor es in den Kommentaren wieder heißt "Hä? Habichnichkapiert...": Um die Ecke denken ist erlaubt. Ach, und übrigens, die vorigen Folgen gibt es in 30 Jahren (Geduld, Geduld) als Sammelband in meinem Spätwerk mit dem schönen Titel: The lost files of "Da lacht der Anglo-Germanist - Krypto-Humor für Fortgeschrittene")

16.5.06

Mit good old Goethe ins Stadion

Nur noch wenige Wochen bis zum Start der Fußball-WM in Deutschland und es rauscht ganz gewaltig im deutschen Medienwald bzw. was davon noch hier so ankommt. Denn man entgeht dem aktuellen Thema Nr. 1 selbst bei der täglichen Rundschau durch die Online-Ausgaben der Zeitungen nicht. Will man auf die Blogs ausweichen... Fehlanzeige. Bei SPIEGEL Online wurde jetzt schon ein (nicht ganz ernstgemeinter) Knigge für die deutschen Gastgeber veröffentlicht. Zum Glück ist der Artikel ganz humorig geschrieben, was nicht unbedingt von einem Deutschen zu erwarten war. Grüsse an die altbekannten Klischees.

Die schönste Stelle daraus möchte ich gern zitieren, weil da mein Germanisten-Herz einen kleinen Freudenhüpfer machte. Zum Thema "Fangesänge" heißt es da:

Auch auf der Fußballtribüne kommt es auf die Formulierung an, auf Feinheiten und Versmaß. Auch hier lassen sich Anfeuerung und optimistische Appelle an die eigene Nationalmannschaft in anspruchsvolle Reime fassen statt in tumbe Grölerei. Warum nicht einmal ganz klassisch mit Goethes "Faust" gemeinsam aus 50.000 Kehlen rufen:

"Wie alles sich zum Ganzen webt/ Eins in dem andern wirkt und lebt!"

Selbst wenn just in diesem Augenblick Philip Metzelder einer seiner berüchtigten Fehlpässe unterläuft und das deutsche Mittelfeldspiel wieder einmal im Chaos versinkt - bei Goethe findet sich immer das treffende Wort:

"Wenn aus dem schrecklichen Gewühle/ Ein süß bekannter Ton mich zog..."

Hoch gestimmte Gelassenheit und abgeklärte Grandezza des Weimarer Genies sollten uns durchaus Orientierung und Richtschnur sein.

Ein japanischer Student, mit dem ich vor einigen Tagen kurz das Woher und Wohin austauschte, stammelte mit leuchtenden Augen: "Dschömenie? Wölld-Kap!"

Ab und zu begegnet man jungen Koreanern, die deutsche Fußballtrikots tragen - und eben keine brasilianischen oder englischen. Es ist kaum vorstellbar, daß ein englischer Junge ein deutsches Trikot tragen würde. Oder ein Deutscher ein niederländisches. Ein Tscheche das der Ukraine, ein Pole das schwedische Trikot... So weit entfernt ist Europa im Geiste. Das Verschwinden der innereuropäischen Grenzkontrollen war nur eine armselige kosmetische Angelegenheit ohne Konsequenzen auf das zwischenmenschliche Zusammenleben. Die latent existente Angst vor dem fremden Nachbarn ist geblieben.

Deshalb ist diese selbstverständliche Art, wie in Korea mit Deutschland als Nation umgegangen wird, neu für mich. Kein verkrampftes Fragenstellen über und an die deutsche Geschichte. Keine Angst davor, in irgendein politisch-ideologisches Fettnäpfchen zu treten.

Andererseits: Der Ball ist rund und jedes Spiel dauert eine gefühlte Ewigkeit. Fußball sollte man am besten sehen, erleben und spielen.

Abschließend noch der Link auf die Druckversion des SpON-Artikels für diejenigen, die sich nicht die Augen am Monitor verderben wollen. "-"

14.5.06

Well-being am Sonntagmorgen

Gern würde ich ein Loblied auf das "Land der Morgenstille", wie sich Korea in den Tourismusprospekten selbst bezeichnet, singen, doch angesichts der Dinge, die mir passiert sind, versagt meine Stimme.

Als ich nämlich nach einer Stunde Jogging heute morgen gegen halb acht wieder zu Hause eintraf, überlegte ich eine ganze Weile, was ich gerade gesehen hatte. Ich war Zeuge eines Rituals geworden, daß so typisch für dieses Land ist. Damen und Herren jenseits der 50plus-Altersgrenze werfen sich in ihre schickste Sportkleidung und gehen durch die Gegend. Zum Teil auch rückwärts. Wohlgemerkt gehen, nicht joggen!

Natürlich kenne ich so etwas auch aus Deutschland, aber die Leute sind bei uns in der Minderheit im Vergleich zu den Joggern. Hier war ich als Jogger die Ausnahme und musste mir ganz aussen meinen Weg durch Gruppen von Frauen und Männern bahnen und mir einige komische Blicke gefallen lassen. Wie gesagt, es war ungefähr 6:30 Uhr in der Frühe.

Neben dem Weg gibt es zahlreiche Trimm-Dich-Geräte, Fitnessbänke und Reckstangen. Auch davon machten die anwesenden Koreaner regen Gebrauch. Ich sah ältere Damen, die sicher schon Enkelkinder hatten und eine gute Rente bezogen, wie sie an Reckstangen herumturnten und Liegestütze machten. Die Herren standen ganz in der Nähe immer zu zweit auf einer beweglichen Scheibe und schwenkten die Hüften nach links und rechts. Dabei gingen sie leicht in die Knie. Ein einzelner Herr spielte gegen sich selbst Basketball.

Plötzlich musste ich angesichts dieser Bilder so sehr grinsen, dass mir fast die Luft wegblieb. Es war ein einziges riesiges Freilufttheater. Jeder bemühte sich mit solcher Inbrunst, etwas für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden zu tun, daß es schon wieder komisch wirkte. Und ich hatte voller Naivität gedacht, daß ich den Sportplatz so früh am Morgen fast ganz für mich allein hätte. Stattdessen drängelte ich mich an Dutzenden Kleingruppen vorbei, immer darauf bedacht, nirgends anzustoßen und keinen der durchschnittlich 1,60 Meter großen Koreaner umzurennen.

10.5.06

Der Asia kommt (vielleicht)

Man mag über den Euro (und vor allem seine Einführung) geteilter Ansicht sein, aber die Idee, Währungen zu internationalisieren und Märkte auszudehnen bzw. zu vereinheitlichen, hat neue Befürworter gefunden, wenn man dieser Meldung Glauben schenken darf. Wie sollte das neue Geld für den ostasiatischen Raum heißen? In Anlehnung an den Euro: Asia? Oder als Referenz an die beteiligten Länder: Renminbi-Yen-Won (RYW)?

Wie auch immer, denkt man an Orwells Roman "1984" (und dort vor allem an die herrschende Weltordnung) ergeben sich interessante Parallelen zur gegenwärtigen Situation. Die Aufteilung der Welt in Interessensphären, die Ausbildung von globalen politischen Blöcken ist schon seit geraumer Zeit zu beobachten. Eine wirtschaftliche Zentralisierung wird diesen Prozeß nur noch weiter beschleunigen.

Bestechungsversuch!

Ich bin immer wieder entzückt, mit welcher Hingabe und welchem Eifer die Studenten ihre Hausaufgaben erledigen. Heute war in der Anfängergruppe Abgabetermin für eine selbstgestaltete Speisekarte für ein koreanisches Spezialitätenrestaurant und ich bekam viele bunte, bemalte, beklebte Karten, die zum Teil mehrere Seiten umfassten. Dieser Fleiß haut mich echt um.

Andererseits leben die Studenten auch in ihrer eigenen kleinen Welt, schauen nicht nach rechts und links, kümmern sich überhaupt nicht um irgendwelche Vorgaben und dann bekomme ich Sachen zu lesen, die ich so nie erwartet hätte. In meinem Kurs, der sich auf die Prüfung "Zertifikat Deutsch" vorbereitet, sollten die Studenten einen Brief schreiben, in dem es um:
  • das Sporttreiben,
  • um notwendige Schutzkleidung beim Radfahren und Skaten
  • und einen Berlin-Besuch
gehen sollte. Stattdessen bekam ich von einem meiner Studenten folgende - sehr ernstgemeinte - Einladung:

Lieber Stefan,

viele Grüße aus Seoul, Korea! Dieser Tage ist das Wetter ganz toll und es gibt auch ein großes Fest in der nächste Woche, das in der Korea Universität 5 Tage daueren wird. Also die Germanistikabteilung an der Korea Universität plant viele interessanten Sachen während des Fest. Am 18. und 19. Mai gibt es Torwand, Bier&Wurst und Filmabend. Meine Freunde und Freundinen und ich sind mit Filmabend beschäftigt. Wir habe uns schon viele Mals getroffen, üder das zu diskutieren. Und dann haben wir hier eigene bestimmten Ergebnisse. Der erste Film wird 19 Uhr am 18. Mai laufen. Der Platz ist Raum 132 in dem Hochhaus von Liberal Arts (Seo-gwan). Außerdem wollen wir die Studenten und Studentinen von der Fremdsprachenschule (eine Art Gynamsium) zu Filamabend einladen. Wir hoffen, dass es klappen wird. Wenn alles klar geworden ist, wollen wir Sie und anderen Deuschen auch einladen.

Herzliche Grüße
[...]
Soweit die Hausaufgabe. Ich fürchte um mein Leben, dass ich das Fest, das 5 Tage (!!!) dauern wird, nicht überleben werde: Torwand! Bier&Wurst!

Bleiben Sie dran. Und seien Sie stark. Erwarten Sie das Nicht-Denkbare.

Kekse der vergangenen Wochen (17. KW, 18. KW., 19. KW)

Ja, ich geb's zu. Ich habe die Keks-Berichterstattung etwas schleifen lassen. Gern hätte ich schon etwas eher meine Testberichte geschrieben, aber die "Magenkrämpfe" in den letzten zwei Wochen hielten mich davon. Eine echte süßwarentechnische Offenbarung gab es eigentlich nur diese Woche. Aber der Reihe nach.

Beim Durchsuchen der Keksregale stieß ich vor gut zwei Wochen auf diese Mini-Kuchen.


Interessant, dachte ich, probiere ich mal was anderes und verlasse die ausgetretenen Pfade des originalen Knusper-Kekses und kaufe diesen Soft-Cake. Nun ja, ich hätte es nicht tun sollen. Der "odde" weiß wohl selbst nicht, ob er jetzt süß schmecken soll oder doch eher nach Käse. Das Geschmackserlebnis ist in erster Linie eine Beleidigung für den Gaumen.

Außerdem ist er schlicht zu weich. Deswegen nur 1 von 5 Krümeln (inklusive Abwertungspunkt für die bekannte Einzelverpackung).

***

Nicht viel besser erging es mir in der darauf folgenden Woche. Zwar versprach die Schoko-Füllung des "onju" (O'new), die auf der Packung abgebildet ist, eine bessere Qualität, doch die Packung war vergleichsweise um 300 Won (25 Eurocent) günstiger als die vom "odde"- und allein dieser Fakt hätte mich stutzig machen sollen. Aber der Mensch ist von Natur aus neugierig und außerdem glaube ich immer fest daran, daß es nicht schlimmer kommen kann.


Schlimmer wurde es zwar nicht, aber auch nicht besser. Der "Keks" hatte keinen Biss. Er mäanderte geschmacklich zwischen Toastbrot (weiß) und Toastbrot (dunkel). Da konnte selbst die Schoko-Füllung nichts dran ändern, die auch auf der Packung viel dicker aussieht, als sie in Wirklichkeit ist. Auch hier nur 1 von 5 Krümeln.

***

Nach so vielen entbehrungsreichen Wochen musste sich ja geradezu zwangsläufig die Keks-Welt wieder zum Besseren wenden. Diesmal ging ich auf Nummer Sicher und gab gleich einen Haufen Geld aus - für eine italienische Kekssorte, wie ich aber erst zu spät zu Hause bemerkte. Der oder die "Mini Voglie" sind ein Traum von einem Keks! Der knusprige sattbraune Mantel verbirgt eine schokocremige Füllung, die an das schmerzlich vermisste Nutella erinnert. Noch bin ich nicht verzweifelt genug, um die Füllung aus den Keksen herauszukratzen, um sie mir dann auf meine morgendliche Toastscheibe zu schmieren. Aber dieser Tag könnte kommen. Und dann weiß ich, daß die Füllung des "Mini Voglie" eine gute Alternative zu dem Brotaufstrich abgeben würde.


Eigentlich dürfte dieser Keks gar nicht hier auftauchen, da es sich um eine Importware handelt. Doch bevor ich anfange, irgendwelche Regeln für meine wöchentlichen Keks-Tests aufzustellen, lehne ich mich entspannt zurück, fische das letzte Teilchen aus der Tüte und vergebe traumhafte 5 von 5 Krümeln. Fazit: Absolut empfehlenswert!

6.5.06

Proteste gegen US-Militärbasis

Zufällig sah ich gestern auf Deutsche Welle TV einen kurzen Bericht über Proteste der Koreaner gegen eine Erweiterung der US-Militärbasis Camp Humphries nahe der Stadt Pyongtaek. Nach ein paar Minuten googeln fand ich diesen und diesen Artikel in deutschsprachigen Zeitungen. Die Nachricht wird in Europa keine großen Wellen schlagen, denn die Probleme sind einfach aufgrund der geographischen Lage zu weit entfernt. Erschütternd waren diese Bilder wegen der ungewohnten Aggressivität der Koreaner, die sowohl auf Seiten der Demonstranten als auch auf Seiten der Polizei und Armee zu sehen war. Es wurde um ein besetztes Gebäude gekämpft.

Die Koreaner demonstrieren nach langen Jahren des Stillhaltens gegenüber der amerikanischen Schutzmacht wieder. Dafür gibt es verschiedene Gründe. So wurde mir erzählt, daß vor einigen Jahren ein Jeep voller betrunkener US-Soldaten zwei Koreanerinnen überfahren haben soll. Auch von sexuellen Übergriffen von US-Soldaten auf einheimische Frauen wird immer mal wieder hinter vorgehaltener Hand berichtet.

Über den Bezirk Itaewon, wo viele Ausländer wohnen und sich bislang auch die Militärbasis der Amerikaner befindet, wird von den Koreanern nur in negativen Zusammenhängen gesprochen. Das ist der Teil der Stadt, in dem es Kriminalität, Drogen und Prostitution gibt. Ich war schon oft in Itaewon, aber mir ist davon nichts aufgefallen. Das Erzählen solcher Gerüchte ist vielleicht eine Art Racheakt gegenüber den Amerikanern, die sich teilweise sehr arrogant benehmen.

Wie in anderen Ländern gibt es auch in Korea Rassismus und Anti-Amerikanismus, die allerdings längst nicht so stark ausgeprägt sind. Hinter der freundlichen Fassade bemerkt man bei genauerem Hinsehen in Einzelfällen eine Fremdenfeindlichkeit, die man nicht erwartet hätte. Dabei wird nicht differenziert. Grundsätzlich ist jeder Mensch, der nicht "asiatisch" aussieht, ein Amerikaner. Ein lesenswerter Artikel von einem Deutschen, der viele Erfahrungen zu dieser Thematik gemacht hat, findet sich hier (dann auf "Rassismus" oben klicken).

Zwölf Schilder (Schuhkauf - Teil 2)

Vor knapp zwei Wochen zog ich mit zwei koreanische Kollegen los nach Dongdaemun, dem Seouler Bezirk mit der wahrscheinlich höchsten Dichte an Bekleidungsgeschäften. Die beiden Herren wollten mich beim Einkauf von Wanderkleidung beraten.

Nichtsahnend hatte ich nämlich auf die drei magischen Fragen von ihnen: Gehst du gern wandern? Also du gehst wirklich gern wandern? Und du hast bestimmt noch keine richtigen Wanderschuhe, hm? wahrheitsgemäß immer mit "Ja" geantwortet und stand nun plötzlich mit zwei älteren Männern (normalerweise lasse ich mich beim Bekleidungskauf nur von einer Frau begleiten) in einem Fachgeschäft für Freizeit-/Wander-/Sportbekleidung.

Und die Fragerei ging gleich weiter: Was hast du denn für eine Schuhgröße? Sicherheitshalber nannte ich nicht meine deutsche Größe, sondern gleich die amerikanische. Der Schuhverkäufer sah nicht aus wie Al Bundy und bemühte sich wirklich sehr um mich. Immer größere Kartons holte er aus dem Lager. Ich probierte geduldig alle Schuhe an und schüttelte jedes Mal enttäuscht den Kopf. Ach, Korea, warum habt ihr nur so kleine Menschen mit so kleinen Füßen? Es ist ja ansonsten ganz schön, auch mal der Größte sein zu dürfen, aber andererseits ist der Schuh- und Bekleidungskauf eine langwierige Angelegenheit.

Dann fragte einer der Kollegen, ob denn nicht noch was von den Sonderangeboten aus dem Internet da sei. Nach fünf endlosen Minuten kam der Verkäufer wieder und präsentierte diese Schuhe:
Ja, gut, orange ist sonst nicht so meine Farbe. Aber was soll ich sagen? Die Dinger passten wie angegossen! Sogar mit dicken Bergsteigersocken waren sie nicht zu eng. Begeistert sagte ich schnell, daß ich die nehme. Ab zur Kasse und neue Überraschung: Nur 25.000 Won (umgerechnet 21 Euro). Ein absoluter Kampfpreis!

Nun waren meine Kollegen im Kaufrausch. Es gab für sie kein Halten mehr. Du brauchst noch eine Wetterjacke, eine Wanderhose und ein Wandershirt. Gehen wir mal zum Stadion.

Das Stadion war vor langer Zeit schon stillgelegt worden und jetzt befindet sich dort ein riesiger Freiluftmarkt. Freiluft heißt natürlich auch, daß es keine Kabinen zum Anprobieren gibt. Wir fanden schließlich einen Stand, an dem es Sportbekleidung gab. Eine alte Koreanerin nahm Maß und wühlte sich dann durch einen riesigen Hosenberg. Hier, die paßt. Nun noch eine Jacke. Erneutes Wühlen in den Sachen. Hier, nimm die. Und ein Shirt. Jetzt verschwand die kleine Frau zur Hälfte zwischen den Textilien. Nur die Beine guckten noch raus. Hier, das.

Dann machte der eine Kollege ein nachdenkliches Gesicht und sagte eine Zahl. Die Frau wich erstaunt einige Zentimeter zurück und nannte eine andere (höhere) Zahl. Der Kollege schaute wieder nachdenklich und sprach dann ganz leise und sanft noch eine Zahl, die zwischen den genannten Zahlen lag. Die Frau seufzte kurz und hielt die Hand auf. Ich bezahlte artig. Nach fünf Minuten hatte ich alles eingekauft für die erste Wandertour. Persönlicher Rekord!

Und seltsamerweise passte die Hose auch, obwohl ich sie vor dem Kauf nicht anprobiert hatte.

Aber kann mir mal jemand erklären, warum ich für ein Paar Schuhe, eine Hose, ein Shirt und eine Jacke zwölf Anhänger von den Sachen abtrennen musste? Hier das Beweisfoto:

Endlich Regen

... und damit habe ich endlich auch mal wieder Zeit und Gelegenheit, hier weiter zu schreiben.

Die letzten Tage waren kaum auszuhalten vor Hitze (kleiner Vorgeschmack auf den Sommer). Als ordentlich angezogener Mensch in Hemd, Sakko und langer Hose erntete ich einige mitleidige Blicke auf dem Campus. Naja, sei's drum. Ich guckte die koreanischen Professoren, die in dunklen Anzügen mit Hemd und Krawatte herumliefen auch ein bißchen mitleidig an.

Hamwanich (Schuhkauf - Teil 1)

Vor drei Wochen wollte ich mir ein paar Turnschuhe kaufen. Dummerweise hatte der Verkäufer nichts zu tun und stürzte sich auf mich. Folgendes Gespräch entspann sich (ich beherrschte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als diese "Sätze", har har):

Verkäufer: *unverständliche Frage stell
Ich: *Schuhsohle anheb und auf die Zahl zeig
Verkäufer: *unverständlichen Satz sag plus "obsoyeo" (hamwanich)
Ich: "Obsoyeo?" (habtihrnich?) *dabei die Augenbraue hochzieh
Verkäufer: "Nee, obsoyeo..." (Ja, hamwanich...)
Ich: "Hm..."
Verkäufer: *unverständlichen Satz sag plus "Itaewon!" (In Itaewon gibt es Schuhe in Ihrer Größe, Euer Durchlaucht!)
Ich: "Ahaaa, Itaewon?!" (Ach soooo, in Itaewon?!)
Verkäufer: "Nee, nee, Itaewon!" (Jaja, in Itaewon!) *eifrig dabei nickend
Ich: "Kamsahamnida." (Na, schönen Dank ooch.)
Verkäufer: "Neeee, kamsa..." *zehnmal sich verbeugend